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Ein Festival im Ausnahmezustand

Text

Ralf Kaminski

Erschienen

15.01.2021

-

Aktualisiert

25.03.2021

Porträt Nadine Adler Spiegel, Leiterin des Migros-Kulturprozent Story Lab

Dieses Jahr finden die Solothurner Filmtage wegen der Pandemie digital statt. Am Festival hat zudem das neue Förderprojekt des Migros-Kulturprozents seinen ersten Auftritt – «Frieden»-Regisseurin Petra Volpe spielt Taufpatin.

Die 56. Solothurner Filmtage beginnen mit einer Premiere: Erstmals kann am Mittwoch, 20. Januar, auf SRF, RTS und RSI sowie auf der neuen Festival-Website das ganze Land um 20.15 Uhr den Eröffnungsfilm mitverfolgen, die Uraufführung von Niccolò Castellis Spielfilm «Atlas».

«Film ab!» heisst es dann zwar auch in Solothurn, wo die Eröffnungsfeier in Anwesenheit von Bundespräsident Guy Parmelin live aufgezeichnet wird. Das Publikum wird die Filmtage wegen der Corona-Massnahmen jedoch digital verfolgen müssen. Alle Anlässe, Gespräche und Preisverleihungen rund ums Schweizer Filmschaffen finden dennoch vor Ort in Solothurn statt und werden live in die Wohnzimmer der Nation übertragen.

«Dadurch bleibt das Herzstück unseres Festivals erhalten: die Begegnung», erklärt Anita Hugi (45), Direktorin der Solothurner Filmtage. Diese passiere einfach nicht wie sonst vor Ort. «Es können online während der Live-Übertragung aber auch Fragen gestellt werden. Und wer hätte gedacht, dass die Gespräche mit den Filmschaffenden einmal direkt in der heimischen Stube stattfinden?»

Für Hugi und ihr Team bedeutet all das jedoch logistisch einen erheblichen Mehraufwand. «Wir mussten alle Begegnungen und Veranstaltungen neu denken, man kann das nicht einfach abfilmen.» Doch Hugi ist für diese Ausnahmesituation ideal vorbereitet: «Ich bin ein digitaler Freak und beschäftige mich schon lange mit diesen Themen.» Es sei heute generell wichtig für ein Festival, im digitalen Raum innovativ präsent zu sein.

Die Migros am Filmfestival

Das Migros-Kulturprozent hat 18 Filme unterstützt, die vom 20. bis 27. Januar an den Solothurner Film­tagen laufen. Zudem ist das Migros-Kulturprozent Story Lab Hauptprogrammpartner der neuen Sektion «Im Atelier» (22.1., 11–12 Uhr, mit Petra Volpe).

Auch die Schweizer Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Volpe («Frieden», «Die göttliche Ordnung») wird am 22. Januar lediglich digital in Solothurn auftreten – zugeschaltet aus ihrer neuen Heimatstadt New York, wo sie seit fünf Jahren mit ihrem amerikanischen Ehemann lebt.

Geld und Zeit für gute Geschichten

Volpe wird mithelfen, das Migros-Kulturprozent Story Lab vorzustellen, ein neues Förderprojekt. «Gedacht ist es als Labor für alle audiovisuellen Erzählformate», sagt Nadine Adler Spiegel (43), Leiterin Filmförderung beim Kulturprozent. Also nicht nur für Spiel- und Dokumentarfilme, sondern auch für Serien, Virtual Reality bis hin zu Video-Games.

Das Story Lab stellt dabei nicht nur Geld zur Verfügung – zwischen 7000 und 25 000 Franken pro Projekt –, es begleitet zusätzlich den Prozess der Weiterentwicklung einer Idee. Dazu gehört auch die Vernetzung mit Mentoren und anderen Kreativen.

Die Förderung erlaubt mehr Zeit, um die Geschichte in der Frühphase gut zu entwickeln», sagt Adler Spiegel. «Auch haben wildere Ideen Platz – es ist ein Experimentierlabor, in dem man sich ausprobieren und auch mal scheitern darf.»

Lanciert wird das Story Lab am 22. Januar an den Filmtagen, mit Petra Volpe als Patin und als Teil der neuen Festivalsektion «Im Atelier», die ebenfalls dem gegenseitigen kreativen Austausch dienen soll. «Ein Drehbuch verfassen ist eine kollaborative Kunst», sagt Volpe, deren Kinoerfolg «Die göttliche Ordnung» (2017) vom Kulturprozent gefördert wurde. «Man kann das nicht allein machen, deshalb ist Story Lab eine so gute Sache.»

In neun Jahren zur TV-Serie «Frieden»

Die Autorin illustriert den langen Weg von der Idee zur Umsetzung anhand ihrer Serie «Frieden», die vor Weihnachten auf SRF zu sehen war. «Die erste Idee kam mir vor neun Jahren, danach folgten viele Recherchen, die zu immer neuen Elementen und schliesslich der Basisgeschichte führten.»

Ursprünglich hatte sie an einen Kinofilm gedacht, realisierte jedoch, dass sie dafür zu viel Stoff hatte. «Der Produzent schlug vor etwa fünf Jahren vor, daraus eine Serie zu machen – was gut zum damals aufkommenden Serienhype passte.»

Was dann am Ende auf dem Bildschirm zu sehen sei, wirke im Idealfall natürlich und leicht, als hätte es nicht anders sein können, sagt Volpe. «Dahin zu kommen, ist jedoch ein langer Prozess, der viel Eigenarbeit, Handwerk und Reflektion fordert – und dazu Menschen, die einem helfen. Es braucht ein ganzes Dorf, um ein gutes Drehbuch zu schreiben.»

Der Trailer zur Serie «Frieden»

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein gutes Drehbuch zu schreiben.

Petra Volpe

Die richtigen Leute dafür zu finden, dauere einige Zeit. «Es braucht Sparringpartner, die einen auch auf Sackgassen hinweisen.» Um Volpe hat sich mit den Jahren eine Gruppe gebildet, der sie vertraut: «Mein Produzent, mein Mann und Freunde, die liebevoll und konstruktiv, aber extrem streng sind.» Als Autorin sei man sehr verletzbar, da brauche es sensible Leute, die ein Gespür dafür haben. «Es ist fast wie eine Ehe. Besonders Jungen, die am Anfang stehen, würde ich es ans Herz legen, sich solche Menschen zu suchen.»

Eine Förderung, die nicht nur Geld bringe, sondern den Prozess betreue und begleite, sei deshalb enorm hilfreich. Auch die Unterstützung in der frühen Phase sei sehr wertvoll, betont die Autorin, «um die Miete zu zahlen und um genügend Zeit zu haben, die Grundarbeit gut zu machen, denn die ist entscheidend».

2022 zurück ins Kino

Das sieht auch Anita Hugi so, die in Solothurn mit «Opera Prima» trotz Pandemie auch einen neuen Preis für Debutfilme lanciert: «Es ist meist eine Frage von Zeit und also Geld. Und es ist schön, wenn die Leute die Ressourcen haben, einen Film gründlich und frei zu entwickeln.» Das Konzept des Story Lab schaffe aber nicht nur Rückenwind, sondern auch kreativen Spielraum. «Warum soll eine Filmregisseurin nicht mal ein Game erschaffen?»

Die bisherige Form der Filmförderung durch das Kulturprozent ist Ende 2020 ausgelaufen. «Es wird aber noch immer gleich viel Geld eingesetzt, einfach anders verteilt», betont Nadine Adler Spiegel. Die Förderung solle dank des Story Lab zeitgemässer werden, nicht nur auf Film und Kino ausgerichtet sein. «Es ist auch ein bisschen ein Experiment – und kann vielleicht Anstoss für andere Förderer sein.»

Auch wenn in Solothurn dieses Jahr alles etwas anders ist und Anita Hugi die digitale Welt generell stärker einbeziehen möchte: 2022 will die Direktorin der Filmtage zurück ins Kino. «Ein Festival sollte vor Ort stattfinden, das Kinoerlebnis im Saal ist etwas Einzigartiges. Und vielleicht locken wir dann auch ein paar Leute, die uns 2021 online besucht haben, neu nach Solothurn in den Kinosaal.»

Foto/Bühne: Thomas Egli. Porträt Nadine Adler Spiegel, Leiterin des Migros-Kulturprozent Story Lab.

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