«Wir haben nie definiert, was wir unter Mut verstehen», sagt Stefan Schöbi, Leiter des Migros-Pionierfonds. «Obwohl er so wichtig ist für unsere Arbeit.» Gemäss Duden ist Mut die Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden. Mut ist Furchtlosigkeit in Situationen, in denen man Angst haben könnte. Stefan nickt: «Die Ungewissheit aushalten, darum geht es.»
Auf die Frage hin, wer ihn persönlich zu mutigen Leistungen inspiriere, meint Stefan: «Ich habe kein einzelnes, strahlendes Role Model. Der Mut, der mich beeindruckt, ist der Mut der vielen – derjenige, der in jedem Individuum steckt. Menschen, die ambitionierte Ziele erreichen möchten, auch wenn sie noch keine Ahnung haben, wie. Menschen, die unbequeme Wege gehen und für eine gute Sache auch mal ihrem Bauchgefühl folgen, obwohl ihr Kopf dagegen ist. Ich wünsche mir, dass wir dieses Feuer in möglichst vielen Menschen entfachen können.»
Unterstützung für Innovationsfreudige
Der Förderfonds der Migros unterstützt seit 2012 Pionier*innen bei der Umsetzung ihrer innovativen Ideen. Die Ziele sind anfangs oft noch nicht klar definiert, die Wege führen ins Neuland. Nicht selten geben die Projektpartner*innen dafür ihren angestammten Beruf auf und stellen andere Projekte zurück. Der Migros-Pionierfonds unterstützt sie dabei, ihren Weg zu finden. Er versucht, ihnen einen möglichst stabilen Rahmen zu bieten, damit sie dieses Wagnis auf sich nehmen können.
Der Projektleiter von Ting, Silvan Groher, sagt über die Zusammenarbeit: «Der Migros-Pionierfonds hat uns darin unterstützt, unsere Ziele zu prüfen und zu schärfen. Er hat oft und hartnäckig nachgefragt. Dieser aufwändige Anfangsprozess war zentral und leitend für uns. Wir stehen heute inhaltlich genau da, wo die ursprünglich vage definierte Intention hinzielte.»
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Bei Ting stellen sich die Mitglieder gegenseitig eine thematisch gebundene und zeitlich begrenzte individuelle Grundsicherung für persönliche Veränderungen zur Verfügung, z. B. für Weiterbildung oder Selbstständigkeit. So verringert sich der ökonomische Druck.
«Die Schweiz hat ein starkes Sozialsystem. Unser Arbeitslosenversicherungsmodell gilt als eines der modernsten und leistungsfähigsten. Trotzdem muss das System der Gegenwart und den sich ändernden Bedürfnissen angepasst werden», sagt Stefan. «Wir sind eher darauf ausgelegt, dort zu helfen, wo jemand aus dem System herausgefallen ist. Weniger dort, wo man proaktiv in einem viel früheren Stadium Unzufriedenheit verhindern oder einen Wunsch nach Veränderung unterstützen kann. Oder wo Beruf und Familie unter einen Hut gebracht werden sollen.»
Solidarität weitergedacht
Ting ist aus Stefans Sicht ein mutiges Modell, das versucht, einen neuen Ansatz umzusetzen und das Solidaritätssystem weiterzuentwickeln. Dabei setzt es wissenschaftliche Erkenntnisse in die Tat um, etwa, dass Menschen Motivation und Zuspruch brauchen, um sich zu verändern und zu entwickeln.
Geben ist seliger als nehmen – das kann Silvan nach einem Experiment mit einem ähnlichen Modell bestätigen. Er fügt an: «Es braucht Mut, Geld zu beziehen. Die meisten erschrecken erst einmal, wenn sie eine Zahlung auf ihrem Konto finden.»
Genau da sieht Stefan den Auftrag des Migros-Pionierfonds: «Wir möchten Experimente ermöglichen und aktiv fördern, um fruchtbare gesellschaftliche Entwicklungen auszulösen. Und Mut machen, Dinge auszuprobieren und neue Wege zu gehen. Nicht nur Kinder brauchen Begleitung, wenn sie eine Idee und damit letztlich sich selbst entwickeln, sondern genauso auch Pionier*innen.»
Der Vater von zwei Söhnen fügt lachend hinzu, dass man Klein wie Gross auch manchmal davon abhalten muss, allzu mutig zu sein. Wichtig für jeden Entwicklungsprozess ist für ihn vor allem eine vertrauensvolle Begleitung, wenn jemand einen grossen Schritt in Angriff nimmt.
Mentoring als Erfolgsrezept
Sophie Achermann vom Projekt Stop Hate Speech rät bei grossen Schritten: Einerseits dürfe man das Ziel nie aus den Augen verlieren, andererseits helfe es, eine Mentorin bzw. einen Mentor zu haben. «Jemand im Hintergrund, der einen unterstützt und Mut macht. Und es hilft, auf diese Leute, die einen unterstützen, auch zu hören.»
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Sophie ist Geschäftsführerin von alliance F und war Jugenddelegierte für die Schweiz in der UNO. In der Delegationschefin fand sie eine Mentorin, die sie bei der Organisation eines Events ins kalte Wasser stiess. «Ich hätte heulen können.» Aber die Mentorin gab ihr den Mut und das Vertrauen, es zu schaffen: «Interessanterweise hat sie mir nicht geholfen. Aber sie hat mir das Gefühl gegeben: Du kannst das.»
Stop Hate Speech geht mit einer Verbindung von technischen und zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten gegen Hass im Internet vor und verbessert langfristig den Dialog und Diskurs online. Freiwillige beurteilen durch Swipen nach links und rechts in einer App, ob es sich bei Kommentaren um Hate Speech handelt oder nicht. Mit ihren Einschätzungen lehren sie den Algorithmus, den sogenannten Bot Dog, Diskriminierungen richtig zu «erschnüffeln».
Gute Ideen grösser gedacht
Bei alliance F hatte man das Projekt Stop Hate Speech angedacht und erhielt dann vom Migros-Pionierfonds den Ratschlag: «Think it big.» Sophie sagt, es sei ein grosser Schritt gewesen, den Mut zu finden, ein so grosses Projekt anzupacken. Das Engagement ist für sie ein sehr persönliches. Die Zivilcourage, die sie im Offline-Leben an den Tag legt, habe sie selbst online auch nicht. «Wir müssen den Mut und die Zivilcourage von jeder einzelnen Person wecken und stärken, damit sie sich im Internet zu exponieren wagt. Wir unterstützen uns gegenseitig, wir machen das zusammen.»
Stefan sagt, innovative Projekte seien auch deshalb anspruchsvoll, weil Pionier*innen häufig alleine seien. «Es ist relativ einfach, sich einem mutigen Ansatz in den Weg zu stellen. Jedes unserer Projekte kann man argumentativ zu Fall bringen. Aber wo alles blockiert wird, bewegt sich auch nichts. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir uns als Allianz mit unseren Projektpartner*innen verstehen und sie auf diesem Weg begleiten.»
Trotz Rückschlägen nach vorne blicken
Noch deutlicher spricht Leo Caprez vom Projekt Brainforest: «Den Mut verliere ich fast täglich. Das gehört dazu. Rückschläge erfahren wir bei Brainforest auf globaler Ebene, damit muss man leben lernen. Wenn wieder hektarweise Wald abbrennt, dann denkt man: Wir sind der Tropfen auf den heissen Stein.»
Das Pionierprojekt Brainforest setzt sich für die Transformation der Waldwirtschaft ein. Ein erster, konkreter Ansatz ist die Lancierung eines datenbasierten digitalen Marktplatzes, der, unter Verwendung modernster Technologien, den globalen Handel von nachhaltigen Waldprodukten erlaubt. So wird der Wert der Wälder handelbar und zieht weiteres Kapital an. Waldökosysteme reduzieren auf diese Weise gewinnbringend CO2. Bis 2023 sollen 500 Millionen Franken neues Kapital mobilisiert und durch Aufforstung ein wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung des Klimas geleistet werden.
Skalierbare Lösungen finden
Leos grösste Sorge ist es, dass das Projekt klein bleibt. Wie bei vielen Ideen, die auf die Veränderungen unserer Umwelt abzielen, sind die Lösungen erst dann erfolgreich, wenn sie skalierbar sind. Auch Stefan sagt: «Es ist ein ambitioniertes Projekt. Da wird nicht ein Boutiquewäldchen mit ein paar schönen Bäumen gepflanzt. Es ist mutig zu sagen: Entweder schaffen wir es, einen relevanten Markt zu bauen für die globale Waldaufforstung, oder wir lassen es besser ganz sein.»
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Leo will die Ziele von Brainforest durch innovative Ideen und den Zusammenschluss von Leuten erreichen, die sonst nicht zusammenarbeiten würden. «Die Menschheit ist zu unglaublichen Sachen fähig. Dieser Gedanke gibt mir Hoffnung. Wir brauchen aber Mut, um den richtigen Rhythmus zu finden. Das fällt mir manchmal schwer. Ich schlage mich mit wahnsinnig dringenden Problemen herum, an denen man 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche mit Vollgas arbeiten müsste. Aber auf diese Weise schafft man es langfristig nicht. Man muss auch mal schlafen. Eine Balance zu finden ist schwierig. Da hilft das Symbol der Bäume: Auch sie brauchen – wie gute Ideen – viel Kraft und Zeit zum Wachsen.»
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