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Verbündete mit einer gemeinsamen Vision

Text

Lea Müller

Erschienen

07.12.2020

Die Scouts des Migros-Pionierfonds Robin Born und Linda Sulzer unterhalten sich

Von der Idee bis zur Umsetzung: Die Scouts vom Migros-Pionierfonds halten nicht nur pausenlos Ausschau nach neuen Lösungen für unsere Gesellschaft, sie sind auch Sparringpartner für Pionier*innen. Ein Gespräch mit den 2 Teammitgliedern Linda Sulzer und Robin Born über ihre persönliche Sicht auf Utopien und Experimente, über unkonventionelle Wege und die Herausforderung, kühne Ideen zum Fliegen zu bringen.
 

Wann hattet ihr selbst zuletzt eine mutige Idee?

Linda: Gestern habe ich mir von meinen Eltern neue Bettwäsche in Orange gewünscht – obwohl mir diese Farbe eigentlich gar nicht gefällt. Das war mutig. Vielleicht etwas zu mutig (lacht).

Robin: Mutig zu sein ist aus meiner Sicht eine Haltung. Man muss sich jeden Tag einsetzen für seine Ideen und Überzeugungen. Mut kann man trainieren.

Als Scouts des Migros-Pionierfonds seid ihr stets auf der Suche nach Pionier*innen, die mit neuen Ideen die Welt verbessern möchten. Wie erkennt ihr Ideen mit Potenzial?

Robin: Eine Idee hat Potenzial, wenn ihr eine überzeugende Problemanalyse zugrunde liegt: Worin genau besteht das Problem, das hier gelöst werden soll? Wo setzt die Lösung  an, um das spezifische Problem effektiv am Schopf zu packen?

Linda: Es braucht Pionier*innen mit Leidenschaft und Herzblut. Wenn sie mit Überzeugung hinter ihrer Idee stehen, ist für mich eine wichtige Bedingung erfüllt. Ob das bei einem Projekt der Fall ist, sagt einem das Bauchgefühl meist sehr schnell.

Reicht diese Kombination? Muss eine Idee nicht auch neu oder unkonventionell sein?

Linda: Der Innovationsgrad und das transformative Potenzial einer Idee spielen eine zentrale Rolle. Und da wir mit einer Problemanalyse anfangen, stossen wir schnell auf die Lücken im jeweiligen gesellschaftlichen Bereich.

Wie findet ihr solche Lücken; wie geht ihr beim Scouting vor?

Robin: Wir verfolgen gesellschaftliche Entwicklungen laufend und identifizieren relevante Problemstellungen – wie zum Beispiel den Umgang mit persönlichen Daten. Wir gehen diesen Problemen auf den Grund und analysieren die Mechanismen, zentrale Hemmnisse und mögliche Verbündete. Dann machen wir uns auf die Suche nach Menschen, die für dieses Problemfeld bereits interessante Lösungen entwickelt oder neue Ansätze skizziert haben. Gemeinsam fragen wir: Wo ist noch Potenzial vorhanden? Wo lässt sich etwas in Bewegung setzen? Wie lässt sich eine systemische Veränderung herbeiführen?

Linda: Dabei haben wir immer die Dringlichkeit eines Problems und die potenzielle Wirkung der Lösung vor Augen. Und wir suchen dort, wo unser Förderansatz besonders Sinn macht. Wenn es in einem Themenfeld eher um wissenschaftliche Forschung geht, sind wir nicht die Richtigen. Wenn es aber zum Beispiel darum geht, mit Akteur*innen aus verschiedenen Sektoren gemeinsam einen vielversprechenden Ansatz zu pilotieren, dann wird es interessant.

Linda Sulzer, Projektleiterin beim Migros-Pionierfonds (Foto: Jasmin Frei)

Mich motiviert, dass der Migros-Pionierfonds anderen Leuten ermöglichen kann, Utopien zu testen – immer mit dem Ziel, einen Fortschritt für die ganze Gesellschaft zu erreichen.

Linda Sulzer, Projektleiterin beim Migros-Pionierfonds (Foto: Jasmin Frei)

Wie findet ihr die Menschen, die bereit für ein solches Vorhaben sind?

Robin: Unser Netzwerk ist das A und O. Denn ein einzelner Mensch hat immer einen sehr begrenzten Blick auf all die verschiedenen, nicht selten komplexen Problemstellungen. So sind wir im Austausch mit möglichst vielen aktiven Akteur*innen in den Themenfeldern.

Linda: Genau, diese Multiplikator*innen sind sehr wichtig. Über sie können wir wieder neue Netzwerke erschliessen, neue Menschen und Ideen kennenlernen. Die meisten Ideen, die wir prüfen, sind noch nicht ausgereift. Wir übernehmen als Förderfonds deshalb eine aktive Rolle und arbeiten mit den Akteur*innen gemeinsam heraus, in welchen Bereichen Potenzial für Pionierprojekte besteht.

Der Migros-Pionierfonds ist eine Initiative des Migros-Genossenschafts-Bundes. Gibt die Migros die Linie vor? 

Robin: Die Migros überträgt uns die grosse Verantwortung, die «richtigen» Pionierprojekte zu finden. Ein Steuerungsausschuss lenkt uns zwar in dieser anspruchsvollen Aufgabe und gibt die Stossrichtung vor. Aber um neue und unkonventionelle Pionierprojekte zu finden, müssen wir selber die Fühler ausstrecken.

Was ist die wichtigste Bedingung, damit ein Pionierprojekt gefördert wird?

Linda: Passion! Für mich müssen die Pionierinnen und Pioniere Überzeugungstäter*innen sein. Sie müssen  nachvollziehbar aufzeigen, welche Wirkung ihr Projekt erreichen will. Es genügt nicht, ein Projekt aus einem Selbstzweck heraus zu machen. Und genau diese Wirkungsorientierung steht im Zentrum unseres Förderansatzes.

Robin: Die Vision eines Pionierprojekts muss wirklich überzeugen. Denn oft beschreiten die Projekte unkonventionelle Wege, die mit beträchtlichen Risiken behaftet sind. No risk, no impact! Wichtig ist darum auch eine stabile und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe, denn wir begleiten die Projekte über einen Zeitraum von 3 bis 5 Jahren hinweg – durch gute und durch schlechte Zeiten.

Wie läuft der interne Auswahlprozess beim Migros-Pionierfonds ab?

Robin: Man kann sich dies als mehrstufigen Prozess vorstellen, der mit zahlreichen Ideen startet, bei dem am Ende aber nur wenige potenzielle Projekte übrig bleiben. Die überzeugendsten  Ideen werden in unserem Team gepitcht – dort müssen sie bereits den kritischen Fragen der Kolleg*innen standhalten. Mit jedem weiteren Schritt wird die Idee konkreter und präziser, und ihre Stärken und Schwächen werden besser greifbar. Zuletzt kommen die ausgearbeiteten Projekte vor ein internes Gremium, das sie noch einmal auf Herz und Nieren überprüft und schliesslich ein «Go» oder ein «No» erteilt. Pro Jahr prüfen wir etwa 150 Ideen, aus denen jeweils 10 bis 15 neue Projekte resultieren.

Wenn es eine Idee am Ende doch nicht schafft: Wie reagiert ihr als Scouts des Projekts?

Linda: Als Scout stehe ich während des gesamten Auswahlprozesses immer auf der Seite des Projekts. Ich setze mich voll und ganz dafür ein und ziehe mit den Pionier*innen am gleichen Strick. Wenn ein Projekt am Ende des Prozesses ein «No» erhält, bin ich natürlich ebenfalls enttäuscht. Wichtig ist mir dann, den Projektpartner*innen die Message mitzugeben: «Macht trotzdem weiter!»

Robin Born und Linda Sulzer im Gespräch im Löwenbräukunst-Areal in Zürich. (Foto: Jasmin Frei)

Robin Born und Linda Sulzer im Gespräch im Löwenbräukunst-Areal in Zürich.

Zusammen mit den Pionier*innen wagt ihr immer auch einen Schritt ins Unbekannte. Wie bringt man mutige Ideen zum Fliegen? 

Robin: Wenn es überhaupt ein Erfolgsrezept für Pionierinnen und Pioniere gibt, dann vielleicht dieses: umsetzen, umsetzen und nochmals umsetzen. Und schnell umsetzen. So kommt man nicht nur früher ans Ziel, sondern kann auch stetig die Qualität der Umsetzung verbessern. Denn mit jedem Fehlversuch wird man besser.

Linda: Es braucht ein experimentelles Mindset: Die von uns geförderten Projektteams erhalten eine einmalige Möglichkeit, mit finanzieller und konzeptioneller Unterstützung einen neuen Ansatz zu testen. Viele Ideen funktionieren nicht auf Anhieb. Auch das Scheitern gehört dazu. Darum ist es so wichtig, dass wir mit Projektteams transparent über Gelerntes und Missglücktes sprechen können. Nur so schaffen wir es, den Weg zum Erfolg in nützlicher Frist zu finden.

Wie genau gestaltet sich die Begleitung durch den Migros-Pionierfonds?

Linda: Wir unterstützen die Projektpartner*innen beratend. Aus Erfahrung wissen wir, welche Hindernisse immer wieder auftreten und welche Punkte oft unter- oder systematisch überschätzt werden. Wir stellen sozusagen sicher, dass die Pionierinnen und Pioniere bei der Konzeption ihres Projekts von der Erfahrung anderer Pionier*innen profitieren und die wichtigen Punkte auf dem Schirm haben. Damit sie gut aufgestellt in die Umsetzung starten können.

Robin: Die Botschaft ist die gleiche wie beim Scouting: Wir sind auf eurer Seite! Das ist für uns sehr wichtig, aber nicht immer selbstverständlich für unsere Projektpartnerinnen und -partner. Als Förderer geben wir Feedback, stellen Fragen – oft auch unbequeme. Aber: Wir sitzen auf der gleichen Seite des Tischs, haben die gleichen Ziele.

Linda: Genau! Wir sind Verbündete mit einer gemeinsamen Vision.

Wann ist die intensivste Zeit der Zusammenarbeit mit den Pionierprojekten?

Linda: Die Begleitung ist insbesondere vor dem eigentlichen Projektstart sehr intensiv. Danach sitzen die Projektpartner*innen am Steuer, aber wir treffen sie regelmässig zu Zwischenreviews.

Robin: Erfahrungsgemäss folgt auf die erste Zwischenreview – also nach einem halben Jahr – eine weitere intensive Phase der Zusammenarbeit. Viele Projekte haben dann einen aufregenden und aufreibenden Punkt erreicht: Der ursprünglich angedachte Weg zum Ziel und Erfolg ist im Austausch mit den Zielgruppen des Projekts mehreren Realitätschecks unterzogen worden – und hat sich deshalb ziemlich sicher verändert. Aus dem ursprünglichen Plan entsteht dann schrittweise ein Plan, der funktioniert.

Robin Born, Projektleiter beim Migros-Pionierfonds (Foto: Jasmin Frei)

Die Vision eines Pionierprojekts muss wirklich überzeugen. Denn oft beschreiten die Projekte unkonventionelle Wege, die mit beträchtlichen Risiken behaftet sind. No risk, no impact!

Robin Born, Projektleiter beim Migros-Pionierfonds (Foto: Jasmin Frei)

Wie merkt ihr, dass ihr auf die richtige Idee gesetzt habt?

Robin: Wenn unsere Projektpartner*innen das Projekt selbständig und zügig umsetzen und von Hindernissen eher angespornt als ausgebremst werden. Die Idee rückt dadurch in den Hintergrund. Die Menschen, die die Idee umsetzen, sind umso wichtiger.

Linda: Zuversichtlich bin ich, wenn ich merke, dass die Projektpartner*innen sich auf eine solche Experimentierhaltung einlassen. Denn es geht nicht darum, den Projektplan 1:1 abzuspulen, sondern darum, die angestrebte Wirkung tatsächlich zu erreichen. Flexibilität und Ausdauer sind das, was zählt.

Was, wenn Projekte zum Flug ansetzen und dann doch hart landen?

Robin: Kleine Einsichten, aber auch mal eine härtere Zwischenlandung – das sind keine Warnsignale, sondern Zeichen, dass das Projekt lernt und am Ende alles gut kommt. Wenn ich zu Fuss nach Bern laufen würde, dann wohl kaum auf einer geraden Linie. Aber es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass ich in Basel lande.

Linda: (lacht) Um dieses Bild aufzunehmen: Vielleicht müsste man in der Mitte des Weges nach Bern aber auch die Erkenntnis zulassen, dass die Richtung überhaupt nicht passt. Und dass man dann auch den Mut hat, umzukehren.

Kommt es vor, dass Projekte die Richtung ändern?

Robin: Das gibt es durchaus. Wenn wir merken, dass 3 von 4 Projektzielen nicht die gewünschte Wirkung erzielen, gehen wir über die Bücher und passen die Ziele zusammen mit den Projektteams an. Das ist ein agiler Prozess. Wir haben immer die Vision vor Augen.

Was sind die Werte, die euch antreiben, Tag für Tag nach neuen Ideen Ausschau zu halten?

Robin: Bei mir ist es einfach eine Gewohnheit (lacht). Die Welt – so wie sie jetzt ist – ist gut, aber noch lange nicht perfekt. Fortschritt entsteht nur dann, wenn wir auch Fortschritt machen. Für mich persönlich bedeutet das: Ich helfe anderen dabei, ihre Ideen umzusetzen.

Linda: Ich sage es mit den Worten von Oscar Wilde: «Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien». Mich motiviert, dass der Migros-Pionierfonds anderen Leuten ermöglichen kann, Utopien zu testen – immer mit dem Ziel, einen Fortschritt für die ganze Gesellschaft zu erreichen.

Über die Interviewpartner*innen

Linda Sulzer ist Projektleiterin beim Migros-Pionierfonds und scoutet Pionierprojekte im Themenfeld Kollaborative Innovation. Die Politikwissenschaftlerin war u. a. an der Gründung der Bewegung Operation Libero beteiligt. Mit dem Migros-Pionierfonds will sie Leuchttürme schaffen, die der Gesellschaft Mut machen und ihr neue Wege zu einer nachhaltigen und gleichberechtigten Zukunft aufzeigen.

Robin Born ist Projektleiter beim Migros-Pionierfonds und scoutet Pionierprojekte in den Themenfeldern Mensch & Digitalisierung und Kollaborative Innovation. Der gelernte Maschinenbauer ist überzeugt, dass neue technische Errungenschaften zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt werden sollten. Beim Migros-Pionierfonds sorgt er dafür, dass der technologische auch ein gesellschaftlicher Fortschritt ist.

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