Wieso es ok ist, vor dem Fernseher zu essen
Erschienen
21.04.2022
Rund die Hälfte der Schweizer*innen isst nicht am Esstisch. Ein Psychologe erklärt, weshalb unsere liebste Alternative die Couch ist. Und was es dabei zu beachten gibt.
Lässt es sich schöner gammeln als mit Netflix und Fertigpizza? Für viele ist Fast Food vor dem Fernseher der Inbegriff von Entspannung. Aber wie oft gönnen wir uns diese kleine Sünde? Aus der neuen Studie «Wie gesund lebt die Schweiz», die das Forschungsinstitut Sotomo im Auftrag von Migros-Impuls und Ringier erstellt hat, geht heraus, dass Schweizer*innen nicht nur ausnahmsweise vor dem Flimmerkasten essen: Nur gerade die Hälfte der befragten Personen nimmt immer am Esstisch seine Mahlzeiten ein. Der Rest weicht gelegentlich oder auch häufig auf Alternativen aus und nimmt sein Essen beispielsweise draussen (32 Prozent) oder unterwegs (17 Prozent) ein. Der grösste Anteil all jener, die nicht am Tisch essen, tut dies jedoch vor einem Bildschirm. Bei Frauen ist das Essen vor dem Fernseher (62 Prozent) besonders beliebt, Männer bleiben während dem Zmittag oder Znacht eher auch mal vor dem Computer (29 Prozent) sitzen. In der erwerbstätigen Lebensphase von 18 bis 64 ist der Anteil jener, die gelegentlich bis häufig nicht am Tisch essen, am grössten.
Wer alleine isst, hat weniger Kontrolle
«Mich überraschen diese Zahlen kein bisschen», sagt Robert Sempach. Der für das Migros-Kulturprozent tätige Ernährungspsychologe verweist auf die soziale Funktion, die Mahlzeiten erfüllen: «Essen verbindet Menschen und fördert das Zusammenleben.» Wenn physisch niemand anwesend sei, dann hole man sich die Gesellschaft eben virtuell in die Stube. «Das ist absolut nachvollziehbar und auch nicht weiter schlimm», so Sempach. Allerdings gebe es ein paar Punkte, die man beim Essen vor dem Bildschirm bedenken sollte. Essen wir gemeinsam mit anderen, gibt es eine gewisse soziale Kontrolle und man schlägt mengenmässig weniger über die Stränge, als wenn man allein ist.» Wer vor dem Fernseher isst, spürt zudem das Sättigungsgefühl weniger, «weil man abgelenkt und deshalb weniger bei seinen Empfindungen ist.» Wichtig sei es deshalb, langsam zu kauen und das Essen nicht herunterzuschlingen.
Eine praktische Lösung, um nicht alleine essen zu müssen seien Videocalls: «Dabei ist man zwar nicht im selben Raum, aber man hat trotzdem einen Austausch und wird nicht nur berieselt», erklärt Sempach. Wer gerne gemeinsam mit anderen essen möchte, kann sich auch bei einer Tavolata anmelden: «Dort gibt es diverse Gruppen, die sich in unterschiedlichen Abständen zum Essen treffen.» Bei einem ersten Schnupper-Essen stellt sich schnell heraus, ob die Chemie passt. Auch im Netzwerk Caring Communities es viele Projekte, die sich ums gemeinsame Essen drehen. Sempach plädiert fürs Ausprobieren, aber nicht Forcieren: «Man soll ja schliesslich mit Menschen an einem Tisch sitzen, die man auch mag!»
Lieber zum Kochlöffel greifen
Schade findet er es, wenn Familien oder Partner*innen regelmässig gemeinsam vor dem Fernseher essen. «Das ist eine verpasste Chance zum Austausch und lässt bei mir die Alarmglocken schrillen. Schliesslich ist Essen immer eine Art von Zuwendung», so Sempach. Wer allein lebt, könne sich diese Zuwendung auch selbst geben. Zum Beispiel indem man auf Fertigprodukte verzichtet und sich stattdessen die Zeit nimmt, für sich alleine zu kochen. Auch wer zuweilen vor dem Fernseher esse, könne sich gesund und ausgewogen ernähren, betont der Experte. «Wo man isst, ist gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, was und wie man isst.» Du darfst also getrost weiter Netflixen und dabei essen. Vielleicht einfach nicht jedes Mal Fertigpizza.
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Foto/Bühne: GettyImages
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