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5 Grundsätze für den Aufbruch ins Wagnis

Text

Stefan Schöbi

Erschienen

18.01.2021

Die Illustration zeigt eine Frau, die durch ein Fernrohr in einen Sternenhimmel blickt und mit der Hand einen Stern ergreift.

Wenn eine Förderinstitution den Fokus auf Innovation richtet und eine gestaltende Rolle einnehmen möchte, identifiziert sie Förderprojekte am besten über Scouting. Was bedeutet dies konkret? 5 Grundsätze des Migros-Pionierfonds für das Aufspüren und die Begleitung von Pionierprojekten.

1. Haltung statt Kriterien

Das wichtigste Instrument im Gesuchswesen ist beim Scouting hinderlich: Förderkriterien werden am Bestehenden entwickelt und haben eine bewahrende Wirkung. Wer neue Lösungsansätze sucht, dem gaukeln sie Klarheit höchstens vor. Beim Scouting geht es um klare Haltungen. Zum Beispiel um die Überzeugung, dass mutige Ideen eine Chance verdienen (weil es teurer kommt, sie nicht auszuprobieren). Oder um den Grundsatz, dass die Qualität des Umsetzungsteams wichtiger ist als die präsentierte Projektidee. Oder um Inklusion und Transparenz. Die beste Form, Haltungen und grundlegende Werte festzuhalten, ist ein internes Manifest. Seitdem wir eines haben, sind wir entspannter und schneller am Ziel.

2. Orientierung ist alles

Das ideale Projekt fällt nicht vom Himmel. Für die jährlich etwa 10 bis 15 neuen Projekte in unserem Portfolio schauen wir uns um die 100 Teams und Ideen an. Um da der richtigen Fährte zu folgen, ist schnelle Orientierung entscheidend. 

Scouting erfordert deshalb gute Vorbereitung. Wie gut kennen wir die Treiber, die unsere Welt heute transformieren, etwa die Digitalisierung? Technologie ist zentral, noch wichtiger ist der Mensch: Was macht der Mensch mit der Technik und was macht die Technik mit dem Menschen? Beim Migros-Pionierfonds arbeiten wir mit dem Modell der nachhaltigen Entwicklung, das soziale, ökonomische und ökologische Perspektiven verbindet. Oder wir ziehen Kate Raworths Donut-Ökonomie zu Rate, um eine ganzheitliche Perspektive auf eine Fragestellung zu erhalten. Zusammen mit Wissenschaftler*innen, Think Tanks und Pionier*innen analysieren wir den Stand und skizzieren ein Zukunftsbild, das wir als Gesellschaft erreichen möchten. Der «Problembaum» hilft, Zusammenhänge aufzudecken; der «Lösungsbaum» zeigt uns, wo wir ansetzen müssen. So entstehen Blaupausen für potenzielle Förderprojekte. Unser Koordinatensystem, das wir laufend justieren.

3. Co-Kreation und Augenhöhe

In der Förderung ist Augenhöhe keine Selbstverständlichkeit, denn Förderung ist per se asymmetrisch (im Sinne von Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie): auf der einen Seite das Geld (und das letzte Wort), auf der anderen die Wirkung (und die nötigen Informationen). Zentral ist deshalb eine geteilte Sicht auf das Projekt, dessen Motivation und Erfolg. Wir lösen diesen Anspruch durch konsequente Co-Kreation ein, die mit der Ausarbeitung des Projekts beginnt. Dabei beschreiben wir die Vision und Ziele des Vorhabens und bilden auf einer Zeitachse die wichtigen Schritte des Vorgehens ab. Erfahrungswissen aus mittlerweile gegen 100 unterstützten Pionierprojekten fliesst hier mit ein. Das Ergebnis ist eine Zielmatrix in der Grösse eines Tischsets, die alle Beteiligten auswendig kennen. Auf lange Projektdossiers und Reportings können wir verzichten.

4. Ehrlichkeit, Flexibilität und eine Notfallapotheke

Dann geht‘s erst los. Denn ein Plan ist eine Hypothese, die sich an der Wirklichkeit erst beweisen muss. Die Lernkurve in einem Pionierprojekt ist steil, ein konsequenter Umgang mit Learnings entscheidend. Wir machen es unseren Partner*innen einfach, sich (und dem Förderer) eingestehen zu können, dass etwas nicht wie vorgesehen funktioniert. Steht bei der ersten Review hingegen alles auf Grün, sind wir skeptisch. Gute Projekte sind differenziert in ihrem Erfolgs- und Misserfolgserleben.

Während der Projektlaufzeit verändert sich die Zielmatrix, denn sie reflektiert laufend Learnings und lässt sie in die Umsetzung des Projekts einfliessen. Die Vision bleibt dieselbe, nicht aber der Weg zum Ziel. Unser Rahmenvertrag erlaubt ein flexibles Anpassen dieser Parameter.

Stehen alle Ampeln auf Rot, etwa aufgrund eines Knalls im Team oder eines Hakens im Businessplan, dann geht es um schnelle, handfeste Unterstützung. Unser Spin-off, das Pionierlab, ist als Netzwerk von Fachleuten organisiert. Es ist schnell einsatzfähig und begleitet Projekte mit individuellem Coaching. Das ist unsere Notfallapotheke, und seit wir sie haben, schlafen wir deutlich ruhiger.

5. Postheroischer Optimismus

Was ist Erfolg? Die Frage ist schillernd. Wir haben schon glanzvolle Erfolge erlebt, die sich später als Täuschung entpuppt haben, und Projekte beendet, die danach wie ein Phönix aus der Asche auferstanden sind. Wir sind vorsichtig geworden mit «Erfolg», mit «Lösungen», mit «Heldinnen» und «Helden». Scouting heisst nach Perlen tauchen, aber was genau eine Perle ist, weiss man erst im Nachhinein. 

Unser Ansatz heisst: «Copy left», Teilen ist Programm (und das steht übrigens folgerichtig auch im Fördervertrag). Die von uns unterstützten Projekte sind Modelle, die sich und ihre Erfahrungen zur Disposition stellen: zur Nachahmung, zur Skalierung, zur Weiterentwicklung oder einfach als Referenz. Die Grundlage dazu kommt aus der Systemtheorie: Wir sind Lernende, nicht Wissende. Eine grosse Portion postheroischer Optimismus gehört zum Scouting dazu.

Hinweis: Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht im Jahrbuch Kulturmarken 2020 von Causales, Gesellschaft für Kulturmarketing und Kultursponsoring in Berlin. Für diesen Blog-Beitrag wurde der Text leicht überarbeitet.

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