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Integration über das Kochen

Text

Patricia Brambilla

Erschienen

22.04.2022

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Den Migrant*innen bei der Eingliederung in die Gesellschaft helfen? Mit einem Kochworkshop geht das deutlich einfacher! Das ist das originelle Rezept von «Smoothie Intégration» in Epalinges (VD). Ein von Migros-Engagement unterstütztes Programm.

An diesem Morgen treffen sie sich vor der Migros in Epalinges (VD) zum Einkaufen. Es giesst in Strömen und sie haben ihre Krägen hochgeschlagen, dennoch sieht man nur strahlende Gesichter. Sieben Teilnehmer*innen sind es an diesem Tag, fünf Männer und zwei Frauen zwischen 30 und 57 Jahren, allesamt mit Migrationshintergrund. Vom Leben gebeutelt und vor ein paar Jahren aus Afghanistan, Syrien, dem Iran und Eritrea in der Schweiz gelandet. Sie alle nehmen am Programm «Smoothie Intégration» des Vereins DeMains... de mes propres Mains teil, der vom Migros-Engagement unterstützt wird.

Nachdem alle ihre Einkaufsliste bekommen haben, strömen sie hinein ins Geschäft. So können sie gleich lernen, die Etiketten und Namen der verschiedenen Produkte zu entziffern. «Es geht nicht darum, es ihnen abzunehmen, sondern ihnen die Möglichkeit zu bieten, es selbst zu tun. Gleichzeitig sensibilisieren wir sie auch für regionale und saisonale Produkte», erklärt Eva Roth-Kleiner, Gründerin des Vereins, der 2015 ins Leben gerufen wurde. Nach und nach füllen sich die Einkaufskörbe. Im Korb von Salmaï* und Azad, die an diesem Tag für das Gemüse zuständig sind, stapeln sich Karotten, Lauch, Rüben und Pilze. Salmaï wundert sich über die Grösse des Schweizer Lauchs und zeigt sogleich ein Foto auf seinem Smartphone: Darauf ist ein viel feinerer Lauch aus Afghanistan zu sehen. «Ich gärtnere gerne, gerade erst habe ich Koriander ausgesät», sagt er nur.

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Das Einkaufen sowie das Lesen von Etiketten und Verpackungsinformationen ist Teil des praktischen Sprachenlernens.

Sobald die Körbe voll sind, geht es für das Team an den Herd. Das macht das Programm Smoothie Intégration so originell: Ein sanfter Einstieg, damit alle in mehrfacher Hinsicht auf den Geschmack kommen. «Wir schaffen eine Brücke zwischen Unterricht und Praxis, um ihnen eine Chance zu geben, sich in die Arbeitswelt zu integrieren», analysiert Eva Roth-Kleiner. Daher die Idee, zusätzlich zu den Französisch-Kursen an den übrigen Tagen am Donnerstag den Kochworkshop abzuhalten. Gemeinsam ein Menü auszuarbeiten, eine Mahlzeit zu kochen, das ist auch eine Gelegenheit, den Grundwortschatz zu trainieren, etwas gemeinsam zu unternehmen und menschliche Wärme zu verbreiten.

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Naelia deckt den Tisch für das Essen mit den Senior*innen.

Im Salle Billy im CAP in Epalinges setzen die Teilnehmer*innen ihre Kochmützen auf und binden ihre Schürzen um, bevor sie in die Küche eilen. Auch dort sind die Rollen klar verteilt und zwei zusätzliche Ausbilder übernehmen das Kommando. Die Stimmung ist gut. Naelia schält die Kartoffeln äusserst geschickt mit einem grossen Messer. Kartoffelschäler will sie keinen nehmen und erklärt lachend: «Ich bin keine Eritreerin, ich bin Schweizerin!» Auf der Arbeitsfläche ist Azad mit den Rüben beschäftigt, «die reich an natürlichem Penicillin sind und im Iran den ganzen Winter über gegessen werden», während Omer das Rindfleisch schneidet.

Sie kommen für einmal aus ihrem Betreuungsstatus heraus. An dieser Stelle sagen wir Danke.

Eva Roth-Kleiner Gründerin des Vereins DeMains... de mes propres Mains

Leila macht ein Dessert mit den Aromen ihres Landes: ein syrisches Mouhalabia, auf Basis von Sahne und Orangenblütenwasser. Eine exotische Note in einem schweizerischen Menü. «Ich liebe es zu kochen, aber ich mache immer grosse Mengen», sagt sie, während sie die Portionen mit einem Glas abmisst. Alle sind eifrig am Schneiden, Rühren und Würzen. Sogar Salmaï, der Kabul und eine Anstellung in einer Bank hinter sich gelassen hat, findet Gefallen daran, Thymianblätter abzuzupfen. «In meinem Heimatland kochen die Männer nicht. Aber hier mache ich das gerne.»

Das Tagesmenü nimmt Gestalt an. Originelles Detail am Rande: Es wird älteren Menschen serviert, die in einem Senioren- und Pflegeheim wohnen. «Wir müssen uns von unserem Schubladendenken verabschieden und Synergien schaffen», betont Eva Roth-Kleiner, die die Idee hatte, die Senior*innen in dieses Projekt zu integrieren. Mauern einreissen und die unterschiedlichen Arten von Einsamkeit zusammen führen. Die Einsamkeit durch das Exil und die Einsamkeit im Alter. Durch Verbindung der Verletzlichkeiten zur Stärke finden. Und das funktioniert.

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Die Migrantinnen und Migranten bitten zu Tisch.

Als die Senior*innen mittags zum Essen kommen, ist der Tisch bereits gedeckt und aus dem Ofen strömt ein würziger Duft. Die Gäste nehmen Platz, während die Teilnehmer*innen die Speisen präsentieren – wieder eine wunderschöne Wortschatzübung – bevor sie sie servieren. «Wir würden gerne wissen, wie ihr heisst», ruft eine vorwitzige Rentnerin. Salmaï stellt sich vor und das Gespräch wird mit Händen und Füssen fortgesetzt, während Torrif, früher Juwelier in Homs, sich daran macht, den Schlüsselbund einer Grossmama zu entwirren.

Die Atmosphäre ist entspannt, die Kommunikation erfolgt auf allen Ebenen, der Funke ist übergesprungen. Offenbar trägt das Programm Früchte. Und übertrifft sogar die Erwartungen, da einige «Studierende» von Smoothie Intégration den Absprung ins Erwerbsleben geschafft haben. «Wir konnten eine Person in eine Schnupperlehre in ein Restaurant schicken. Einige wiederholen den sechsmonatigen Kurs, um ihre Kenntnisse zu festigen. Andere junge Menschen ergattern eine Lehrstelle, oft in der Gastronomie, aber nicht nur», bestätigt Gabrielle Michel, eine vom Verein angestellte Ausbilderin. Für Eva Roth-Kleiner besteht kein Zweifel: «Dank der Kochworkshops machen die Migrant*innen auch menschlich Fortschritte, gewinnen wieder Selbstvertrauen und werden in ihren Fähigkeiten wertgeschätzt. Endlich haben sie nicht mehr den Status von Sozialhilfeempfänger*innen. Hier bekommen sie ein Danke zu hören.»

*Alle Vornamen der Migrant*innen sind frei erfunden.

Infos unter www.smoothie-integration.ch

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Ort der Verkostung: Die Gerichte haben den Geschmack der Herkunftsländer derjenigen, die sie zubereitet haben.

Migros unterstützt das Miteinander

«Smoothie Intégration », ein innovatives Integrationsprogramm für Migrant*innen, gehört zu den 92 in der ganzen Schweiz von «ici.gemeinsam hier» unterstützten Projekten. Dieses neue Förderprogramm von Migros-Engagement zielt darauf ab, aktiv die freiwilligen Initiativen zu unterstützen, die aus der Zivilgesellschaft hervorgehen.

«Wir fördern Projekte in drei Bereichen: interkultureller Austausch im Alltag, mehrsprachige Erziehung von Kindern vor dem Schulalter und Vorbereitung von Erwachsenen auf eine berufliche Eingliederung», erklärt Angela Zumbrunn, Projektleiterin Soziales bei der Direktion Gesellschaft & Kultur des Migros-Genossenschafts-Bundes. Eine Art und Weise, innovative Projekte voranzutreiben und neue Ansätze, die am sozialen Zusammenhalt arbeiten, sichtbar zu machen.

Fotos: Christophe Chammartin

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