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Integration geht in die Beine

Text

Benita Vogel

Erschienen

25.04.2022

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Jeden Montagabend trainieren die «Fussballfreunde2015» in Suhr AG. Die meisten Spieler sind junge Geflüchtete aus Eritrea und Afghanistan. Sie sollen durch den Sport Anschluss in der Gesellschaft finden.

Daniel Abraham trippelt vom Spielfeld an die Seitenlinie. Er streicht sich mit dem Handrücken die blondierten Locken aus der Stirn. Sein Gesicht glänzt. Es ist Halbzeit. «Wir haben 5 zu 1 Tore gemacht, ich eins davon», sagt der Stürmer und zieht die Mundwinkel hoch.

Viel zu lachen hat der junge Mann dieser Tage nicht. «Da sind dunkle Wolken.» Abraham sorgt sich um seine Zukunft. «Ich habe den zweiten negativen Entscheid von den Migrationsbehörden bekommen und soll zurückgehen.»

Minderjährig und unbegleitet

Daniel Abraham flüchtete vor sieben Jahren aus Eritrea in die Schweiz. Er sei damals 17 Jahre alt gewesen – ein unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender, kurz UMA, wie es in Behördensprache heisst. Er war in Suhr AG untergebracht «und hatte viel freie Zeit», berichtet er. Leute aus der Unterkunft hätten vom Fussballteam in Suhr erzählt. Als grosser Ro­naldo-Fan wollte er bei Suhr York City mitspielen.

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Ich freue mich immer auf den Abend mit Fussball.

Daniel Abraham

An diesem Abend sind 14 weitere Spieler auf dem Sportplatz beim Schulhaus. Sie stammen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, dem Iran und der Schweiz. Die anfängliche Verunsicherung über die so divers zusammengemixte Gruppe sei längst verflogen, sagt Felix Häuser, Mitgründer des Projekts «Fussballfreunde2015». «Auf dem Fussballfeld sind alle gleich, und die Sprache spielt sowieso keine Rolle.» Offside heisst überall Offside, «auch wenn das Spiel vielleicht nicht immer so hochstehend ist, dass ein Abseits von allen erkannt wird», sagt Häuser. Aber es sei wichtig, sich an Abmachungen zu halten. Die Vereinsgründer fordern Pünktlichkeit ein, auch Fairness, und dass man nach einem Ball-Aus erst anspielt, wenn alle wieder auf dem Feld stehen. «Gleichzeitig muss das Angebot niederschwellig sein und regelmässig stattfinden. Jeder soll kommen können: Mann, Frau, egal aus welchem Land und mit welcher Herkunft.»

Häuser und die beiden Mitgründer Michael Vonlanthen und Jonas Burch nehmen auch am Leben der Fussballer teil. «Je nach Möglichkeit unterstützen wir bei administrativen Angelegen­heiten, helfen mit Kontakten oder hören auch einfach nur zu.» Selbst ein Gruss auf der Strasse könne schon das Gefühl vermitteln, dazuzugehören. «Es gibt schöne und traurige Geschichten – das können wir leider nicht ändern.»

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Integration mitten im Dorf: Auf dem Sportplatz beim Schulhaus spielen junge Männer aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, dem Iran und aus der Schweiz.

Für Frankreich fehlten 40 Euro

Positiv ist der Weg von Afshin Timori. Er spielt seit Beginn bei Suhr York City und wie sein Teamkollege Daniel Abraham am liebsten im Sturm. «Zu Hause sagten meine Freunde, ich spiele wie der schwedische Stürmer Zlatan Ibrahimovic», sagt er lachend. Der 21-Jährige ist vor fünf Jahren aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet. Eigentlich wollte er nach Frankreich. Als er nach einer beschwerlichen Flucht, versteckt in einem Lastwagen, in Milano (I) am Bahnhof stand und mit seinen letzten 155 Euro ein Zugticket nach Paris kaufen wollte, fehlten ihm 40 Euro. «Eine Kollegin, die ich auf der Flucht kennenlernte, hat mir die Schweiz empfohlen. Ich hatte zuvor nie davon gehört.» Am Anfang sei es zwar schwierig gewesen. Er konnte ein Jahr lang nicht zur Schule und hatte viel Zeit. «Beim Fussball mit Suhr York City habe ich die ersten Schweizer kennengelernt.» Das habe geholfen, sich wohler zu fühlen.

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Bei Suhr York City habe ich die ersten Schweizer kennengelernt.

Afshin Timori

«Die Kontakte, auch zu Leuten aus der Gemeinde und meiner Mentorin aus der UMA-Schule, haben mir sehr geholfen.» Afshin Timori fand so eine Gastfamilie und eine Lehrstelle als Assistent für Gesundheit und Soziales in einem Alterszentrum. Inzwischen hat er den Lehrabschluss in der Tasche und lebt in seiner eigenen Wohnung. «Im August beginne ich die Weiterbildung zum Fachmann Gesundheit.» Und er hat den Antrag für die Aufenthaltsbewilligung B gestellt. «Auch dafür habe ich ein Referenzschreiben von meinen Schweizer Fussballkollegen erhalten», sagt er. In der Schweiz gelandet zu sein, sei aus heutiger Sicht ein Glücksfall, sagt Afshin Timori. Er hofft nun, dass er einen positiven Bescheid für seinen Antrag erhält.

Teamkollege Daniel Abraham wünscht sich derweil ebenfalls, dass die Schweizer Referenzen helfen und er in der Schweiz bleiben kann. «Ich möchte endlich arbeiten können und Automechaniker lernen», sagt er und rennt zurück auf das Fussballfeld. Dort hat die zweite Halbzeit begonnen.

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Felix Häuser hat das Projekt 2015 mit zwei Freunden initiiert.

Die Migros unterstützt Integrationsprojekte

«Fussballfreunde2015» ist eines von 92 Integrationsprojekten, die Migros-Engagement ab Anfang Mai während der kommenden zwei Jahre mit über einer Million Franken finanziell sowie fachlich unterstützt. Das neu geschaffene Förderprogramm «ici.gemeinsam.hier» hat zum Ziel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und richtet sich an Menschen, die sich freiwillig für ein chancengleiches Zusammenleben in Vielfalt in der Schweiz engagieren. Die Angebote sind bestimmt für Zugezogene und Geflüchtete.

Fotos: Nik Hunger

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