Jedes Budget hat seine Geschichte.

Armut kann jede und jeden treffen. Peter, Francesca und Nadim erzählen, warum sie im Minus sind und was hinter den roten Zahlen steht. Das Migros-Kulturprozent macht diese Geschichten in einer Sensibilisierungskampagne sichtbar – und lädt dich ein, deine Haltung zu Armut zu hinterfragen.

«Armut geht uns alle an. Das Migros-Kulturprozent unterstützt Vereine und Organisationen, die den Umgang mit Armut neu denken. In der Schweiz soll niemand vom sozialen Leben ausgeschlossen sein.»
Peter: «Mit dem Job habe ich auch den Anschluss verloren.»
Das Budget von Peter basiert auf realen Zahlen aus der Arbeit von Caritas. Peter steht stellvertretend für die 1,4 Millionen armutsbetroffenen oder -gefährdeten Menschen in der Schweiz.
Ein guter Job, viele Freunde, eine volle Agenda: Peter hätte nie damit gerechnet, dass er in die Armut abrutschen könnte. Heute kämpft der 55-jährige, diplomierte Architekt um seinen beruflichen Wiedereinstieg. Die soziale Isolation trifft ihn dabei noch härter als das knappe Budget.
Eine schicke Wohnung, Wochenendausflüge in die Berge mit Freunden, Restaurantbesuche oder ein Fussballspiel im Stadion – für Peter gehörten solche Privilegien ganz einfach zum Leben dazu. Dass er sie eines Tages nicht mehr vermögen würde, überlegte er sich nie. Wieso auch? Peter arbeitete in einem Architekturbüro, war gut in seinem Job und konnte sich auch mal was gönnen.
Das Schicksal traf Peter wie eine Lawine – unvorbereitet und mit voller Wucht. Erst kamen die Depressionen. Damit die Arbeitsunfähigkeit. Und dann ein unerwarteter Todesfall in seinem nahen Umfeld. Er verlor seine Stelle, rutschte in die Sozialhilfe und lebt heute mehrheitlich von Gelegenheitsjobs. Er sagt: «Dass ich mal jeden Franken umdrehen muss, hätte ich nie für möglich gehalten.»
Ausschluss vom sozialen Leben
Was ihn besonders belastet, ist der Verlust seines sozialen Umfelds: «Wenn man sich die Freizeitaktivitäten der anderen nicht mehr leisten kann, meldet sich bald niemand mehr», sagt Peter. Konzerte, gutes Essen in Restaurants und Cafébesuche gehörten für ihn früher dazu. «Heute muss ich mir einen Kaffee auswärts regelrecht zusammensparen», erzählt er. Mit der fehlenden Teilnahme am gesellschaftlichen Leben hadert der gesellige Single fast mehr als mit dem finanziellen Druck.
Das Ticket zurück
Auch nach Jahren der Arbeitslosigkeit ist für Peter klar, dass er wieder arbeiten möchte. «Ich habe viel Erfahrung und keine Lust, die zehn Jahre bis zur Pensionierung einfach herumzusitzen.» Er wünscht sich, wieder ein aktives Mitglied der Gesellschaft zu sein. Nicht nur, um zu überleben – er will gebraucht werden. Die Hoffnung, beruflich wieder Fuss zu fassen, sieht er als Ticket zurück in sein altes Leben. Oder zumindest in die Nähe davon.

Infografik: Das können sich Menschen in der Schweiz nicht leisten.
Armut führt zu Ausgrenzung.
Wer von Armut betroffen ist, muss auf vieles verzichten und fühlt sich oft vom sozialen Leben ausgeschlossen.
- 18,8% der Bevölkerung in der Schweiz fehlt das Geld, um eine unerwartete Ausgabe in der Höhe von 2500 Franken innerhalb eines Monats bezahlen zu können.
- 11% der Menschen in der Schweiz können sich keine regelmässige Freizeitaktivität leisten.
- 7,3% können sich nicht einmal gelegentlich etwas gönnen.
- 4,1% haben kein Geld, um Familie oder Freund*innen zum Essen oder zum Kaffee zu treffen.
- 3,8% können abgenutzte Kleider nicht ersetzen.
Umfrage: Wie denkst du darüber? (1/3)
Dies ist eine häufig geäusserte Meinung zu armutsbetroffenen oder -gefährdeten Menschen.
Francesca: «Beruf und Kinder – eine Seite kommt immer zu kurz.»
Das Budget von Francesca basiert auf realen Zahlen aus der Arbeit von Caritas. Francesca steht stellvertretend für die 1,4 Millionen armutsbetroffenen oder -gefährdeten Menschen in der Schweiz.
Als 29-jährige, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern jongliert Francesca ständig zwischen Beruf und Familie. Zur Doppelbelastung kommen die finanziellen Sorgen hinzu – denn zum Leben reicht der Verdienst einfach nicht aus.
Gearbeitet hat Francesca schon immer – in verschiedenen Jobs. «Trotzdem geht die Rechnung bei uns nie auf», sagt sie. Der Traum vom traditionellen Familienleben hat sich für sie nicht erfüllt. Stattdessen trägt sie als alleinerziehende Mutter die volle Verantwortung für ihren bald neunjährigen Sohn und ihre siebenjährige Tochter. Zum Vater haben die Kinder keinen Kontakt. All das schlägt nicht nur aufs Portemonnaie, sondern hinterlässt auch körperliche und emotionale Spuren: «Ich schlafe schlecht, bin ständig unter Druck. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, egal wie sehr wir uns alle bemühen.»
Verzicht auf allen Seiten
Entsprechend oft müssen ihre beiden Kinder auf Dinge verzichten, die für Gleichaltrige selbstverständlich sind. «Wir sparen, wo wir können. Aber das tut mir weh – vor allem, wenn ich sehe, was anderen Kindern ermöglicht wird», bedauert Francesca. «Meine Tochter möchte zum Beispiel Klavier spielen lernen. Mein Sohn wünscht sich zum Geburtstag einen eigenen Computer. Aber wie soll das gehen, wenn selbst ein gemeinsamer Kinobesuch nicht drin liegt?», fragt sie sich. So hangelt sich die Familie von Monat zu Monat. «Im Alltag kommt entweder der Job zu kurz. Oder es fehlt die Zeit für die Kinder. Ich versuche, alles unter einen Hut zu bringen, aber das geht an die Substanz.»
Die Hoffnung bleibt
Trotz der vielen Herausforderungen gibt Francesca nicht auf. Sie wünscht sich, dass ihre Familie eines Tages wieder mehr Stabilität erleben darf – nicht nur im Alltag und finanziell, sondern auch emotional. Sie hofft, dass ihre Kinder auf weniger verzichten müssen und unbeschwerter aufwachsen können. «Ich hoffe, dass auch für mich der Moment kommt, in dem ich wieder durchatmen und neue Kraft schöpfen kann.»

Infografik: Darauf verzichten Familien in der Schweiz aus Kostengründen am meisten.
Armut wird vererbt.
Rund 425 000 Kinder und Jugendliche in der Schweiz sind von Armut betroffen. Laut dem Schweizer Familienbarometer 2025 müssen sie auf vieles verzichten, was für Gleichaltrige selbstverständlich ist:
- Ferien
- Restaurantbesuche
- Freizeitaktivitäten wie Musikunterricht, die Mitgliedschaft in einem Sportverein, Nachmittage im Hallenbad oder Kinobesuche
Armut wird oftmals vererbt: Kinder und Jugendliche aus armutsbetroffenen Familien haben deshalb ein höheres Risiko, auch als Erwachsene betroffen zu sein.
Umfrage: Wie denkst du darüber? (2/3)
Dies ist eine häufig geäusserte Meinung zu armutsbetroffenen oder -gefährdeten Menschen.
Nadim: «Wir sind direkt in die Armut geflüchtet.»
Das Budget von Nadim basiert auf realen Zahlen aus der Arbeit von Caritas. Nadim steht stellvertretend für die 1,4 Millionen armutsbetroffenen oder -gefährdeten Menschen in der Schweiz.
Vor zehn Jahren flohen Nadim und seine Frau vor dem Krieg in die Schweiz. Hier fand die Familie Sicherheit. Doch wirtschaftlich begann ein neuer Kampf, und zwar gegen die Armut. Ein Schicksal, das viele geflüchtete Menschen in der Schweiz teilen.
Die Hoffnung auf einen Neuanfang in der Schweiz hat sich schnell zerschlagen. Trotz akademischem Abschluss und Nadims 100-Prozent-Stelle lebt die Familie heute am Existenzminimum. Nadim ist 44 Jahre alt, hat in seinem Herkunftsland Betriebswirtschaft studiert und verfügte über gute Berufsperspektiven. «Leider wird mein Abschluss in der Schweiz nicht anerkannt», bedauert Nadim. Für viele wirkt die Familie auf den ersten Blick wie ein Klischee: geflohen und arm. Doch hinter dieser Fassade steckt weit mehr. Die ältere Tochter ist acht Jahre alt, die jüngere hat gerade ihren sechsten Geburtstag gefeiert. Sie lebt mit einer körperlichen Behinderung und braucht daher eine intensive Betreuung. Um ihrer Versorgung gerecht zu werden, hat sich die Familie für das klassische Modell entschieden: Nadim arbeitet Vollzeit als Hilfskraft, während seine Frau zu Hause bei den Kindern bleibt.
100 Prozent arbeiten – und doch nicht genug
Aber die Rechnung geht trotzdem nicht auf: «Ich arbeite Vollzeit, aber das wenige Geld, das ich verdiene, reicht nicht zum Leben für uns alle. Eine Weiterbildung liegt zeitlich nicht drin», so Nadim. «Wir hoffen einfach jeden Monat, dass keine unerwarteten Kosten dazukommen, und halten durch.» Zum Glück zieht die ganze Familie an einem Strang.
Lichtblick in die Zukunft
Und wie geht es weiter? «Wenn die Kinder älter sind, kann meine Frau hoffentlich wieder arbeiten», sagt Nadim. Er wünscht sich, dass sich die finanzielle Situation der Familie dadurch verbessern wird. Bis dahin befindet sie sich in einer Art Stillstand – gefangen in struktureller Armut trotz aller Bemühungen.

Infografik: 336 000 Arbeitnehmende in der Schweiz sind trotz Erwerbsarbeit armutsgefährdet. Das entspricht 8,3% der Erwerbstätigen.
Armut trifft auch Menschen, die arbeiten.
Armut ist in der Schweiz kein Randphänomen. 336 000 Menschen sind trotz Erwerbsarbeit armutsgefährdet – sie sind sogenannte Working Poor. Besonders gefährdet sind:
- Arbeitnehmende, die nicht ganzjährig erwerbstätig sind
- Selbstständigerwerbende
- Personen mit befristeten Arbeitsverträgen
- Personen mit betriebsbedingten unregelmässigen Arbeitszeiten
- Personen, die in kleinen Betrieben tätig sind
Umfrage: Wie denkst du darüber? (3/3)
Dies ist eine häufig geäusserte Meinung zu armutsbetroffenen oder -gefährdeten Menschen.
Über die Kampagne
«Im Minus» ist eine Sensibilisierungskampagne des Migros-Kulturprozent. Sie erzählt die Geschichten von drei Personen, die stellvertretend für die 1,4 Millionen armutsbetroffenen oder -gefährdeten Menschen in der Schweiz stehen. Die gezeigten Budgets basieren auf realen Zahlen aus der Arbeit von Caritas Zürich.
Das Migros-Kulturprozent dankt Caritas Zürich: Sie haben uns bei der Erarbeitung der Grundlagen für diese Kampagne unterstützt.
Caritas Zürich ist eine von 16 unabhängigen regionalen Caritas-Organisationen in der Schweiz. Caritas bietet eine Vielzahl an Unterstützungsangeboten für Armutsbetroffene an. Diese gehen von sozialer und rechtlicher Unterstützung über Bildung bis hin zur Begleitung von Familien und zur Unterstützung bei der Integration.
- Caritas-Märkte: Lebensmittel des täglichen Bedarfs zu günstigen Preisen.
- Sozialberatung: Kostenlose und vertrauliche Beratung zu Lebensfragen.
- «mit mir»-Patenschaften: Entlastungsangebot für Familien durch freiwillige Pat*innen für Kinder zwischen drei und zwölf Jahren.
- incluso: Freiwillige Mentor*innen unterstützen junge Menschen mit Migrationshintergrund bei der Lehrstellensuche und während der Lehre.
Über gleiche oder ähnliche Angebote verfügen auch die anderen regionalen Caritas-Organisationen: Regionale Caritas | Caritas Schweiz
Fotos und Videos: Sabina Bösch (Fotos), Freundliche Grüsse AG (Videos)
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