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Dieses Gebäude besteht aus Abfall

Text

Marlies Seifert

Erschienen

05.01.2023

Gebaeude

Das Start-up Zirkular rettet alte Bauteile und verwendet sie für neue Gebäude wieder. Oft bedeutet das mehr Detektiv- als Designarbeit.

«Eigentlich ist die Idee gar nichts Neues, sondern uralt», sagt Architektin Kerstin Müller. Sie gilt als Pionierin des zirkulären Bauens in der Schweiz. Will heissen: Sie verwendet Bauteile wieder, anstatt sie wegzuwerfen.

«Das hat man früher auch schon gemacht, nur geriet es mit der Zeit in Vergessenheit», sagt die Geschäftsführerin des Start-ups Zirkular, das vom Migros-Pionierfonds unterstützt wird. Insbesondere während des Baubooms in den 1950er- bis 1970er-Jahren habe man wenig Wert auf Langlebigkeit gelegt.

Abfälle in der Bauwirtschaft in Zahlen

84

Prozent aller Abfälle in der Schweiz entfallen auf den Bau. Pro Jahr sind das umgerechnet gewaltige 75 Millionen Tonnen – ein Vielfaches der Siedlungsabfälle.

500

Kilogramm Abfall pro Sekunde verursacht der Abriss von Bauten.

5

Millionen Tonnen Rückbaumaterialien werden heute auf einer Deponie abgelagert oder in einer Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt. Immerhin werden rund 70 Prozent wiederverwertet, da es sich dabei um wichtige Sekundärrohstoffe handelt.

62

Millionen Tonnen Material setzt der Bausektor (Hoch- und Tiefbau) jährlich um. Davon machen Beton, Sand und Kies 75 Prozent aus und 9 Prozent Brennstoffe. 17 Tonnen pro Person und Jahr beträgt der Schweizer Material-Fussabdruck. Für den Planeten verträglich wären fünf bis acht.

Forschen und tüfteln

Plant Müller einen Neubau, so denkt sie heute schon an morgen. Einerseits setzt sie Materialien mit einem ­geringen ökologischen Fuss-abdruck wie Lehm und Stroh ein. «Andererseits arbeiten wir mit dem, was schon da ist, und schauen, dass es auch in Zukunft wiederverwendet werden kann.»

Anstatt Holz-Elemente zu verkleben, werden sie zum Beispiel verzapft. «Wir steigen auch mal ins Archiv, um alte Techniken neu zu entdecken.» Hinzu kommt aufwendige Tüftel­arbeit mit Forscherinnen und Handwerkern, um alte Bauteile aufzurüsten und heu­tigen Standards anzupassen.

Aber woher stammen die alten Teile, die zu neuen Gebäuden werden? «Manchmal fällt jemandem im Team ein Baugerüst auf, oder wir erfahren von einem Abbruch», erzählt Müller. Dann schwärmen die Bauteiljägerinnen und -jäger aus und erbeuten, was gerettet werden kann.

«Inzwischen werden wir auch angerufen, um Rückbaugebäude auf wiederverwendbare Bauteile zu untersuchen.»

Gebäude in Winterthur

Zirkular

Quadratisch, rechteckig, schmal oder breit: Sein auffälliges Äusseres verdankt die Kopfbau-Halle 118 in Winterthur (kurz: K.118) nicht zuletzt den unterschiedlich geformten Fenstern. «Sie waren vor Planungsbeginn vorhanden und boten die Grundlage für den Entwurf», so Kerstin Müller von Zirkular.

Fenster in einem Rahmen

Zirkular

Die Fenster stammen aus diversen Quellen. Verbaut wurden etwa 12-teilige Aluminiumfenster aus einem ehemaligen Sulzergebäude ganz in der Nähe des Neubaus. Ob zwei oder dreifach verglast: Um sie den heutigen Standards anzupassen, wurden die Dichtungen der Fenster erneuert.

Tischplatten in einem Raum

Zirkular

Die Tischplatten der Innenausstattung im EG & 1.OG stammen aus verschiedenen Quellen. Die Werkbänke im Galeriegeschoss wurden zum Beispiel auf Ricardo ersteigert.

Treppe aus Eisen

Zirkular

Die siebengeschossige Aussentreppe stammt aus dem einstigen Bürogebäude «Orion» in Zürich. Dieses wurde 2018 abgebrochen, nachdem es nicht einmal dreissig Jahre in Betrieb gewesen war. Die Stahltreppe passte genau zum Neubau und erfüllte erst noch die Anforderungen einer Fluchttreppe.

Lavabo

Zirkular

Im Bauteilladen Winterthur fanden die Zirkular-Bauteiljäger diverse Sanitärapparate, die im Kopfbau von K.118 eingebaut wurden – darunter etwa zehn Feinkeramikwaschbecken. Gebrauchte Sanitäranlagen haben eine ähnlich lange Lebensdauer wie neue.

Sanitäranlagen

Zirkular

Trotzdem ist die Wiederverwendung nicht immer einfach. «Wir spüren teilweise Berührungsängste», so Kerstin Müller. «Viele wollen keine gebrauchten Toiletten verwenden. Dabei sitzen wir alle regelmässig auf WCs, die auch andere nutzen.»

Kosten halten sich die Waage

Neben dem Spürsinn erfordert zirkuläres Bauen vor allem Flexibilität. «Jeder Entwurf ist eine Art Kettenreaktion, die sich mit jedem erbeuteten Bauteil weiterentwickelt», so Müller. «Re-use»-Materialien seien zwar günstiger, die Planung jedoch viel aufwendiger.

Am Schluss entsprächen die Kosten den­jenigen des konventionellen Bauens. Wie das Ergebnis aus­sehen kann, zeigt der Kopfbau der Halle 118 in Winterthur: Mit 70 Prozent wiederverwendeten Bauteilen war er die Initialzündung zur Gründung von Zirkular.

Fotos: Zirkular

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