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Den Klimawandel wegpumpen

Text

Marlies Seifert

Erschienen

10.01.2023

Stefanie Bischof

Stephanie Bischof hat sich ein grosses Ziel gesetzt: Sie will die Welt retten. Dabei soll ihr der Abfall einer Zürcher Seegemeinde helfen.

12.30 Uhr an einem grauen Wintertag auf dem Dach der Kehrichtverbrennungsanlage Horgen. Nicht gerade der Ort, an dem man eine international erfolgreiche Finanzexpertin erwarten würde. «Vor etwas mehr als einem Jahr hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mal hier stehe», sagt Stephanie Bischof lachend.

CO2 wird in Boden gepumpt

Seit Mai letzten Jahres ist sie Geschäftsführerin von Airfix. Das Schweizer Start-up will das CO2 in der Atmosphäre reduzieren. Was eine Kehrichtverbrennungsanlage damit zu tun hat? «Mit einer besonderen Vorrichtung scheiden wir das CO2, das während der Verbrennung entsteht, direkt hier ab», erklärt Bischof und zeigt auf den 68 Meter hohen Kamin.

Danach wird das CO2 verflüssigt, bevor es in Tanks nach Nordeuropa transportiert und tief in den Boden gepumpt wird.

Reduktion ist immer günstiger und einfacher, als im Nachhinein aufzuräumen.

Stefanie Bischof, Geschäftsführerin Airfix

Technologie nicht neu

«Die spinnen doch», habe sie gedacht, als sie zum ersten Mal von den Plänen von Airfix erfuhr. Als sie sich genauer mit dem Thema befasste, merkte sie allerdings, dass die Idee kein reines Luftschloss war. «Die Technologie besteht schon länger und wird in anderen Ländern bereits eingesetzt», so Bischof.

Wenn das CO2 jetzt aus der Luft entfernt werden kann, müssen wir dann überhaupt noch Emissionen einsparen und unseren ökologischen Fussabdruck reduzieren? «Absolut. Reduktion ist immer günstiger und einfacher, als im Nachhinein aufzuräumen», mahnt Bischof.

Um die Klimaziele zu erreichen, sei beides nötig: Einsparung und Entfernung. Und zwar in absehbarer Zeit. 2025 soll die CO2-Abscheidungsanlage in Horgen in Betrieb gehen.

Transport birgt Gefahren

«Die grösste Herausforderung ist die Speicherung des verflüssigten CO2 und dessen Transport zum Speicherort.» Beides ist mit erheblichen Kosten und mit Gefahren für die Umwelt verbunden.

Gerade ist Bischof von einer Reise nach Norwegen zurückgekehrt. «Dort wird CO2 bereits jetzt in leere Ölfelder gepumpt, wo es dann bleibt und nicht mehr in die Atmosphäre gelangen kann.» Momentan wird das verflüssigte Gas in Lastwagen, Zug und Schiff transportiert.

Kehrichtverbrennungsanlage in Horgen

Kehrichtverbrennungsanlage Horgen

Airfix

Airfix will technische Lösungen mit hoher Wirkkraft voranbringen, die helfen, dass die Schweiz das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreichen kann. Als Vorreiterprojekt arbeitet das Start-up in der Kehrichtverbrennungsanlage Horgen. Airfix wird vom Migros-Pionierfonds unterstützt.

Chance für Schweizer Wirtschaft

Eine europäische CO2-Pipeline ist noch Zukunftsmusik. Auch der EU-Emissionshandel (siehe Box unten) nimmt erst richtig Fahrt auf. «Wir sprechen von riesigen Investitionen und hochkomplexen finanziellen Abläufen. Für die Schweizer Wirtschaft ist das eine riesige Chance.»

Darum sei sie mit ihrem Zahlenbackground gar nicht so falsch in dieser sehr technischen Branche, ergänzt Bischof schmunzelnd.

Klima retten statt Finanzkarriere

Auf dem Land in Vorarlberg aufgewachsen, studierte sie BWL und arbeitete in den Finanzabteilungen von globalen Konzernen – unter anderem in China. «Mein Job gefiel mir, aber ich wollte mehr für die Bekämpfung des Klimawandels tun. Wir müssen jetzt handeln.»

Schon ihr Vater habe sich dafür eingesetzt. «Doch es fehlte ihm beruflich an Möglichkeiten, wirklich etwas zu tun.» Ihr sollte das nicht passieren. Sie besuchte Informationsveranstaltungen und netzwerkte. Dann kam das Angebot von Airfix. Die internationale Finanzkarriere legte sie auf Eis. Auch von Horgen aus kann man die Welt retten.

Gut zu wissen

Klimaneutral heisst, dass produziertes Kohlenstoffdioxid an anderer Stelle durch Negativemissionen kompensiert wird.

Netto-Null bedeutet, dass alle durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen – also nicht nur CO2 – durch Einsparung oder Kompensation aus der Atmosphäre entfernt werden. Um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, muss die Welt bis 2050 Netto-Null erreichen.

Negativemissionen sind Ansätze zur Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre. Neben dem Abscheiden oder Absaugen von CO2 gilt auch das Anpflanzen von Wäldern als Negativemission, da Bäume CO2 aus der Luft ziehen.

Emissionshandel ist der Handel mit Zertifikaten, die zum Ausstoss einer bestimmten Menge CO2 berechtigen. So bildet sich ein Marktpreis für CO2. Dieser ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die Emissionshandelssysteme (EHS) der Schweiz und der EU sind verknüpft.

Carbon Capture bezeichnet technologische Verfahren, die CO2 einfangen. Unterschieden wird zwischen Direct Air Capture (DAC), bei dem CO2 aus der Atmosphäre gesogen wird, und Carbon Capture and Storage (CCS), bei dem das Gas während des Verbrennungsprozesses abgeschieden wird. In beiden Fällen wird es permanent gespeichert – entweder im Boden oder in Produkten wie Beton.

Fotos: Nik Hunger

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