Freiwillige mobilisieren: Fallstudie und Leitfaden für den Selbstcheck
In der Schweiz hat zivilgesellschaftliches Engagement eine lange und bedeutende Tradition. Und doch kann es anspruchsvoll sein, neue Freiwillige zu finden. Das Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) hat im Auftrag des Migros-Kulturprozent vier exemplarische Projekte befragt, wie sie Menschen punktuell und unverbindlich mobilisieren. Erfahre die Erfolgsfaktoren und mach den Selbstcheck!
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In der Fallstudie «Hier und jetzt engagiert – vier Beispiele für die erfolgreiche Mobilisierung neuer Freiwilliger» erläutern die vier Projekte, wie sie erfolgreich Freiwillige ansprechen und in ihren Projekten einbinden.
Erfahre mehr zu ihren Erfolgsfaktoren – hier kannst du die gesamte Fallstudie herunterladen:
Mach jetzt den Selbstcheck
Wie kannst du für dein Projekt Menschen mobilisieren? Wie gestaltest du die Rahmenbedingungen, damit die Freiwilligen sich wohlfühlen und einbringen? Nutze diesen Leitfaden, um die Strukturen deiner Organisation zu überprüfen: Stell dir dieselben neun Fragen, die die vier Projekte beantwortet haben.
Hier findest du die Antworten der Projekte
Wie schaffen es die Macher*innen hinter den Projekten (Critical Mass, Gärngscheh – Basel hilft, Haus pour Bienne und OpenStreetMap), Begeisterung zu wecken und neue Engagierte in ihre Projekte einzubinden? Lies die Antworten der Projekte auf die neun Fragen.
Einstieg
Critical Mass
Die einfachste Form der Teilnahme am Critical Mass besteht darin, am letzten Freitag des Monats mit einem Velo am Besammlungsort zu erscheinen und mit der Gruppe mitzufahren. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Gärngschee – Basel hilft
In der Facebook-Gruppe werden nicht mehr benötigte Gegenstände kostenlos zur Abholung angeboten: Armbanduhren, Küchenregale, Schuhe, solche Dinge. Wer etwas zu verschenken hat, macht einfach ein Foto des Gegenstands und postet es mit einer Kurzbeschreibung in der Gruppe. Zum Beispiel: «Hundezubehör zu verschenken für Selbstabholer.» Ein wenig wie bei Tutti- Kleinanzeigen – aber halt gratis und für Armutsbetroffene.
Auf der anderen Seite können aber auch – wie bei einem Schwarzen Brett – gezielt Gesuche lanciert werden. Zum Beispiel: Wer hat ein Kinderbett, das nicht mehr gebraucht wird? Hier kann man niederschwellig mit Ratschlägen und dem Angebot von Dingen helfen.
Je nach Aktion gibt es andere einfache Formen der Teilnahme. Bei der Weihnachtsgeschenk-Aktion kann man etwa aus einer Wunschliste ein Geschenk auswählen, dieses kaufen und abliefern.
Haus pour Bienne
Alle Angebote im Haus pour Bienne sind offen für alle, gratis und ohne Anmeldung. Die Teilnahme an Angeboten ist daher sehr niederschwellig möglich. Es ist auch unkompliziert, selbst einen kleinen Event zu organisieren oder ein eigenes Angebot zu lancieren.
OpenStreetMap
In der App StreetComplete lassen sich Details zur unmittelbaren Umgebung spezifizieren, etwa zu den Öffnungszeiten eines Ladens, zum Gebäudetyp (Einfamilien- oder Mehrfamilienhaus) oder zur Beschaffenheit eines Wegs (geteert oder gepflastert).
Im Browser-Editor können zudem neue Elemente eingetragen werden, beispielsweise ein zuvor nicht eingezeichneter Feldweg.
Critical Mass
Critical Mass hat eine starke Social Media Präsenz mit Telegram- oder Instagram-Kanälen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Teilnahme laut Beteiligten durch den Protestcharakter des Anlasses sehr identitätsstiftend sein kann und diese Identität gerne nach aussen kommuniziert wird. Hinzu kommt die mediale Aussenwirkung: Die Menschen kleiden sich in lustige Kostüme und bauen bunte, karnevaleske Wagen. Das liefert gutes Bildmaterial.
Gut besuchte Critical Mass Anlässe erhitzen die Gemüter. Das sorgt für eine Medienpräsenz, welche wiederum als Werbung für den Anlass dient.
Viele Teilnehmende kommen schlussendlich einfach, weil ihre Freunde sie direkt angesprochen haben. Diese Ansprache wirkt aber vor dem Hintergrund der medialen Präsenz vermutlich besser.
Gärngschee – Basel hilft
Gärngschee wurde durch die Basler Online-Zeitung «Bajour» lanciert. Das hat dem Projekt von Anfang an eine lokale Medienpräsenz verliehen. Als günstig erwies sich auch der Startzeitpunkt zum Beginn der Corona-Pandemie, als der öffentliche Raum teilweise durch das Internet substituiert wurde. Die Hilfsbereitschaft war hier besonders ausgeprägt, weshalb die Plattform Menschen mobilisieren konnte.
Einmal angelaufen bietet Facebook selbst die Möglichkeiten, das Projekt weiter zu bewerben. Wenn Facebook-Freunde etwas zu Gärngschee posten oder der Algorithmus selbst die Teilnahme in der Gruppe empfiehlt, ist die Mitgliedschaft einen Klick entfernt.
Dank respektvoller Atmosphäre existiert kaum eine Kluft zwischen Hilfsempfängern und Helfenden. Das trägt dazu bei, dass sich Hilfsempfänger selbst wieder als Helfende engagieren und nicht in eine Opferrolle gedrängt werden. Hilfe zu empfangen kann also dazu bewegen, sich selbst zu engagieren.
Haus pour Bienne
Das Haus pour Bienne ist auf Social Media präsent, beispielsweise auf Instagram oder Facebook, und bewirbt Angebote und Events. Die Anbieter der einzelnen Veranstaltungen und Kurse machen ihrerseits – wie auch die Teilnehmenden als Multiplikator*innen – in ihren jeweiligen Kreisen ebenfalls Werbung für die Veranstaltungen. Dadurch kommen neue Menschen für eine bestimmte Veranstaltung ins Haus und erfahren wiederum von weiteren Angeboten.
Insgesamt soll das Haus noch viel mehr zu einem Treffpunkt für alle werden, unabhängig von Hintergrund oder finanzieller Situation. Mit einem Ping-Pong Turnier, einem Filmabend oder Konzerten wird ein breiteres Publikum angesprochen, jenseits der bereits Engagierten und Nutzer*innen der Unterstützungsangebote.
Das gemeinsame «vor Ort sein» erlaubt es, Gäste von Anlässen oder Kursteilnehmende anzusprechen, ob sie nicht auch mal Lust hätten, etwas im Haus zu organisieren.
OpenStreetMap
Es finden regelmässig Anlässe statt wie Mapathons/Mapping Partys. Der Eventcharakter soll auch neue Menschen für das Erfassen von Daten in OpenStreetMap gewinnen.
Die meisten Menschen sind Open Street Maps Nutzer*innen, ohne es zu wissen. Oftmals werden sie erst durch das Entdecken eines Fehlers darauf aufmerksam und sind gleichzeitig dazu angeregt, diesen zu korrigieren. Das leicht ironisch gemeinte «Cunninghams Gesetz», welches besagt: «Der beste Weg im Internet die richtige Antwort zu bekommen, ist nicht eine Frage zu stellen, sondern die falsche Antwort zu verbreiten.» scheint einen wahren Kern zu haben.
Critical Mass
Man muss einen Ort erreichen können, wo eine Critical Mass stattfindet oder aber selbst eine organisieren.
Um teilzunehmen, muss man nicht zwingend ein Velo besitzen: Es gibt mittlerweile in jeder Stadt Mietvelosysteme, wo man sich einfach ein Velo ausleihen kann.
Ab und ab zu kommen Personen auch mit Kickboards, Skateboards oder Skates, fahren mit Tandems mit oder sitzen auf der Ladefläche eines Lastenrads – selbst Velofahren zu können ist also keine zwingende Voraussetzung. Eine gewisse Mobilität erleichtert die Teilnahme aber natürlich trotzdem.
Gärngschee – Basel hilft
Voraussetzung ist der Zugang zu einem internetfähigen Gerät, ein Facebook-Konto und der Beitritt zur Facebook-Gruppe «Gärngschee – Basel hilft». Die Nähe zur Region Basel ist von Vorteil.
Haus pour Bienne
Die Anreise zum Haus muss selbst organisiert (und finanziert) werden.
OpenStreetMap
Um teilzunehmen, muss man Zugang zum Internet haben, sich bei OpenStreetMap registrieren, allenfalls eine App installieren und auf dem Planeten Erde wohnen.
Beziehungspflege
Critical Mass
Bei der Critical Mass gelten informelle Regeln des gegenseitigen Respekts sowie einige Do’s & Don’ts, die bei Velofahrten zu beachten sind. Dazu gehören die Einhaltung der Verkehrsregeln, sowie die Schliessung von Lücken. Das Vorauspreschen eines Einzelnen an der Spitze wird ebenso wenig toleriert wie gewaltsame Auseinandersetzungen mit motorisierten Verkehrsteilnehmern.
Gärngschee – Basel hilft
Bei «Gärngschee – Basel hilft» herrscht eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts, welche sich in der Anfangszeit dank regelmässiger Ermahnung von Respektlosigkeit in der Community als Norm etabliert hat. Nur so würden sich Armutsbetroffene auch trauen, um etwas zu bitten. Die Projektleiterin sieht die Schaffung dieser Atmosphäre als ihren grössten Verdienst und hat anfangs oft schnell interveniert, wenn Sie diesen Respekt vermisste. Nach wie vor werden sämtliche Posts von Freiwilligen moderiert bzw. freigeschaltet, jedoch werden eher formelle Probleme beanstandet als solche der Respektlosigkeit.
Haus pour Bienne
Das Haus pour Bienne hat festgeschrieben, dass das Haus frei von Sexismus, Rassismus, Gewalt, Alkohol und Drogen ist. Weiter orientiert sich das Haus an den Grundwerten des Vereins FAIR!: Nachhaltigkeit, Respekt gegenüber Mensch und Umwelt, Gleichwertigkeit und Transparenz.
OpenStreetMap
Bei OpenStreetMap existiert eine festgeschriebene Verhaltensetiquette. Sie fordert das Handeln in guter Absicht, den respektvollen, freundlichen Umgang mit neuen Teilnehmenden sowie die verständnisvolle Klärung von Differenzen. Weiter werden gewisse Verhaltensweisen untersagt, wie etwa Sexismus, Drohungen oder das Posten falscher Informationen. Zwar kennt kaum jemand diese Regeln, doch können sie bei Streitfällen zitiert werden.
Critical Mass
Die Critical Mass unterhält vielerorts einen oder mehrere Social-Media-Kanäle, oft auf Telegram, wo der Anlass besprochen wird oder auch einfach nur gepostet wird, wenn man am Anlass ein Rücklicht gefunden hat.
An manchen Orten gibt es an Folgetagen des Anlasses ein offenes Treffen, wo die Durchführung gemeinsam besprochen wird.
Das Zusammenkommen, die gemeinsame Präsenz und schwarmähnliche Synchronizität sind die Merkmale der Critical Mass. Als verschworene Gemeinschaft kommen Menschen, die zufällig gerade nebeneinander radeln, einfach in Kontakt.
Gärngschee – Basel hilft
Die 27 000 Mitglieder der Gruppe haben hauptsächlich per Facebook Kontakt untereinander. Die meisten Interaktionen betreffen dort aber den konkreten Austausch von Gütern oder Ratschlägen und weniger «Plaudereien».
Bei der Übergabe von Gütern, wenn etwa jemand etwas gratis abholt oder aber für die Weihnachtsgeschenkaktion an den zentralen Austauschort bringt, kommen Schenkende und Beschenkte miteinander oder je nach Anlass mit stärker engagierten zusammen und haben allenfalls Gelegenheit, sich auszutauschen.
Diejenigen, welche sich verbindlicher und vertiefter engagieren, tauschen sich über WhatsApp-Gruppen aus und veranstalten mitunter gemeinsame Abendessen.
Haus pour Bienne
Kontakt ist der Grundgedanke hinter dem Haus pour Bienne und findet in den Räumlichkeiten vor Ort statt.
Für Interessierte besteht die Möglichkeit dem Haus pour Bienne Community-Chat auf WhatsApp beizutreten. Dieser Chat ermöglicht auch ausserhalb des Hauses in Kontakt zu bleiben, sich zu informieren und auch neue Ideen zu entwickeln.
OpenStreetMap
Jede und jeder werkelt zunächst einmal für sich. Die meisten Engagierten kennen niemanden anderen und interagieren auch nicht miteinander.
Eine Minderheit tauscht sich in Foren untereinander aus, wenn es etwa um den Umgang mit widersprüchlichen Informationen und Meinungsverschiedenheiten geht. Kontakt findet deshalb oft erst dann statt, wenn es Schwierigkeiten gibt.
Es finden regelmässig Events statt wie Mapathons/Mapping-Partys, wo Aktivitäten in geselligen Runden wie etwa einem gemeinsamen Abendessen ausklingen.
In Zürich findet beispielsweise regelmässig ein OpenStreetMap Stammtisch statt, an dem man mit anderen Engagierten in Kontakt treten kann.
Gestaltungsspielraum / Vertiefung
Critical Mass
Jede und jeder kann zuvorderst fahren und die Route bestimmen.
Gärngschee – Basel hilft
Teilnehmende können Gegenstände oder Leistungen kostenlos anbieten – ob nachgefragt oder unnachgefragt in der digitalen «Vollversammlung» der Facebook-Gruppe.
Haus pour Bienne
Jede*r kann einen Raum reservieren und etwas veranstalten, solange die Grundregeln beachtet werden (kein Sexismus, Rassismus, Gewalt, Alkohol, Drogen).
Alle sind eingeladen, den Raum zu verändern (Pflanzen kultivieren, Wände streichen, etc.)
OpenStreetMap
Jede*r kann alles ändern / löschen / reparieren oder auch neue Attribute hinzufügen.
Critical Mass
Neben der einfachen Teilnahme an dem Geleitzug kann man sich auf viele Arten weiter engagieren. So gibt es die Möglichkeit, zu «corken» (Zufahrtsstrassen absperren), auffällige Wagen bauen oder an gemeinsamen Velowerkstätten mitzuarbeiten. Zudem können Engagierte an Folgeanlässen mitdiskutieren, die offiziellere (weil vorab mit festgelegter Route geplante) «Kidical Mass» organisieren, Webseiten oder Telegramkanäle erstellen, Flyer designen, etc.
Gärngschee – Basel hilft
Bei Gärngschee kann man sich vertieft in einzelnen Projekten engagieren. Manche Freiwillige helfen beispielsweise regelmässig bei der Lebensmittelabgabe. Andere sind zumindest in der WhatsApp-Gruppe aktiv und springen bei Bedarf ein.
Neben dem «Anpacken» vor Ort kann man in Projektgruppen auch die Konzeption der Projekte übernehmen oder die konkrete Umsetzung planen.
Jede und jeder kann ein Projekt vorschlagen. Beispielsweise wurde in der Gruppe der Vorschlag unterbreitet, Schulanfangssets (Rucksack, Etui, etc.) für armutsbetroffene Kinder zu kaufen. Finden sich Menschen, die sich an dem Projekt beteiligen würden, und entspricht es Gärngschees Grundidee der Unterstützung von Armutsbetroffenen, sind viele solcher «Spin-off»-Projekte möglich. Die Online-Community eignet sich als Rekrutierungspool für Menschen, die bereit wären, sich an einer solchen Aktion vertieft zu beteiligen und Verantwortung zu übernehmen.
Haus pour Bienne
Die einfachste Form der Engagement-Vertiefung ist die Übernahme der Tagesverantwortung beim «offenen Haus».
Neben der (aktiven) Teilnahme an bestehenden Angeboten, kann jede*r eigene Kurse, Unterstützungs- und Freizeitangebote anbieten und auch längerfristig anlegen.
OpenStreetMap
Nebst der Teilnahme und Organisation von Stammtischen und Forendiskussionen gibt es diverse Wahlgremien wie etwa Working Groups und ein Board of Directors, welche die strategische Ausrichtung von OSM festlegen und Probleme diskutieren.
Zusätzlich besteht die Möglichkeit, das Kartenmaterial mit Zusatzinfos anzureichern. So lassen sich etwa eine eigene Webseite / App schaffen, welche auf die OSM-Karte einen zusätzlichen Layer legt – wo etwa behindertengerechte Toiletten sind oder ob Gebäude privaten Besitzer*innen oder institutionellen wie etwa Pensionskassen gehören.
Critical Mass
Die Teilnahme an einer Critical Mass sei für viele ein «krasses Gefühl der Ermächtigung» in einer Gemeinschaft, wie Teilnehmende berichten.
Der performative Akt der Strassenaneignung (reclaim public space) hat eine identitätsstiftende Funktion. Die Teilnahme wird von manchen als Abgrenzung gegenüber SUV-Fahrer*innen oder sogar nicht-teilnehmenden Velofahrer*innen wahrgenommen. Auch wenn das nach Meinung anderer wiederum dem inklusiven Charakter des Anlasses widerspricht.
Der identitätsstiftende Charakter führt nicht nur zu erneuter Teilnahme, sondern auch zu mehr Verantwortung dem Anlass gegenüber.
Gärngschee – Basel hilft
Diejenigen, welche als engagiert und auch organisiert auffallen und konstruktive Beiträge liefern, werden von bereits stärker Engagierten angesprochen und zur vertieften Teilnahme eingeladen – ob auf Facebook oder persönlich.
Mitmacheffekt: Menschen intensivieren vor allem aus sozialen Gründen ihr Engagement: Wenn jemand aus dem Freundeskreis bereits schon engagiert ist, tut man es ihm eher gleich
Wenn man zum Beispiel sieht, wie der volle Raum mit Nahrungsmitteln am Abend leer ist oder ein selbst gepflanzter Baum gedeiht, erzeugt dies ein Wirksamkeitsgefühl, welches Menschen dazu motiviert, sich stärker zu engagieren.
Haus pour Bienne
«Menschen bringen Menschen»: Bereits Engagierte können potenzielle Teilnehmende ansprechen und sie motivieren. Es zeigt sich relativ bald, wer Interesse dazu hat und auch gerne Verantwortung übernimmt. Diese Menschen gilt es zu identifizieren.
Soziale Motivation ist entscheidend: Menschen wollen Erlebnisse und Leidenschaften mit anderen teilen und ein Gemeinschaftsgefühl erleben.
Es ist schön, etwas zu lernen, aber auch, eigene Skills weitergeben zu können – dieses gegenseitige Geben und Nehmen kann sich «hochschaukeln».
OpenStreetMap
Je nach Land wird die Einladung zum intensiveren Engagement unterschiedlich gehandhabt. In der Schweizer Sektion gibt es einen diskreten Hinweis auf den Stammtisch und Vereinsmitgliedschaft, wenn man sich registriert. Man will den Teilnehmenden aber nicht das Gefühl vermitteln, dass die Teilnahme nötig sei, um so womöglich unverbindliches Engagement sogar zu verhindern, weil sich interessierte Mapper nicht institutionell binden wollen.
Wer von sich aus sehr aktiv ist, wird zum Stammtisch eingeladen.
Das entscheidende Motiv zum Engagement ist die Wirksamkeitserfahrung, wenn ein kartiertes Element (Edit) auf allen Endgeräten auftaucht. Mit dem offenen Anzeigen von «Verdiensten», dem Sammeln von Abzeichen und ähnlichen Gamification-Elementen wurden eher schlechte Erfahrungen gemacht. Denn auch diese würden die intrinsische Motivation unterwandern.
Critical Mass
Da die Critical Mass teils als Versuch von Hierarchie- und Herrschaftsfreiheit verstanden wird, wird jegliches Aufkommen von Hierarchien aktiv zu bekämpfen versucht, selbst wenn diese Hierarchien nur informell sind. So wird beispielsweise kritisch diskutiert, wenn immer die gleichen Leute vorne fahren oder «corken».
Es gibt aber Menschen, die sich verantwortlicher fühlen als andere (wenn etwa einmal nur wenige teilgenommen haben). Auch wer sich an kritischen Diskussionen zum Thema Hierarchie beteiligt und wer nicht, kann bereits als Ausdruck einer Hierarchie angesehen werden. Das Fehlen von klar definierten Hierarchien kann deshalb informelle Hierarchien entstehen lassen, welche sich aufgrund ihrer Informalität schwieriger diskutieren und damit auch verändern lassen.
Gärngschee – Basel hilft
Bei Gärngschee gibt es einzelne Projekte, welche intern Hierarchien bilden können, von Projektgruppenmitgliedern über Projektverantwortliche.
Für die Administration ist eine Person zu einem tiefen Teilzeitpensum im Projekt angestellt. An diese Person wird auch etwa die Verarbeitung persönlicher Daten übertragen, welche gerade bei Armutsbetroffenen sehr heikel sind.
Haus pour Bienne
Wenn manche Menschen häufiger vor Ort sind, regelmässig Veranstaltungen oder Tagesverantwortung übernehmen und die Strukturen damit besser kennen, entstehen automatisch informelle Hierarchien.
Zusätzlich sind zwei soziokulturelle Animateur*innen durch den Trägerverein FAIR! angestellt, welche dafür sorgen wollen, dass möglichst viel ohne ihr Zutun geschieht. Das Haus pour Bienne soll möglichst ohne Hierarchien funktionieren und durch Begegnungen und Projekte auf Augenhöhe leben.
OpenStreetMap
Die Open-Street Map wird durch verschiedene freiwillige Gremien organisiert. Dazu gehören nationale Vereine, internationale Working Groups, sowie ein Board of Directors.
Zwei Personen sind für das Projekt angestellt.
Zusätzlich entstehen informelle Hierarchien durch Personen, die mehr Edits vorzuweisen haben / länger dabei sind und tiefere Kenntnisse über interne Abläufe besitzen.
Erfolgsfaktoren auf den Punkt gebracht
So gelingt die Mobilisierung von kurzfristigem Engagement:
- Kommunikation der Organisation: Stelle sicher, dass Menschen über möglichst viele verschiedene Kanäle von der Möglichkeit zur Teilnahme erfahren. Überlege, wen du über welche Kanäle erreichen willst.
- Niederschwelliger Zugang: Gestalte es möglichst einfach, einen ersten Beitrag zu leisten, dessen Wirkung sofort erkennbar ist.
- Ermöglichung der Beziehungsbildung: Ermögliche Engagierten, mit anderen physisch und/oder virtuell in Kontakt zu kommen.
- Geregelte Umgangsformen: Schaffe ein Klima, in dem Respektlosigkeit und Aggression geächtet/sanktioniert werden, damit Menschen sich trauen, ihre Bedürfnisse zu äussern, und bei der Teilnahme auch Spass haben.
- Gestaltungsspielräume für punktuell Teilnehmende: Gewähre auch denjenigen, die nur sporadisch teilnehmen, einen gewissen Handlungsspielraum, anstatt sie nur «Instruktionen befolgen» zu lassen.
- Vertiefungsmöglichkeiten des Engagements: Bilde einen Nährboden für das Entstehen neuer Projekte und die Übernahme von Verantwortung.
- Vertrauen statt Hierarchie: Vertraue den Engagierten, statt neue Projekte kontrollieren zu wollen.
Quelle: Fallstudie «Hier und jetzt engagiert – vier Beispiele für die erfolgreiche Mobilisierung neuer Freiwilliger» (GDI, 2024)
Den vier Projekten gemeinsam ist, dass sie Menschen über verschiedene Kanäle erreichen. Sie sorgen für gute Beziehungen unter den Engagierten und garantieren ein respektvolles Klima. Ein Erfolgsfaktor ist auch, Gestaltungsspielräume für Menschen zu schaffen, die nur ab und zu teilnehmen können. Und: Es braucht immer mindestens eine Person, die alles im Blick hat und sorgsam moderiert.
Jessica Schnelle, Leiterin Soziales, Direktion Gesellschaft & Kultur, Migros-Genossenschafts-Bund
Was machst du, um neue Freiwillige einzubinden?
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Soziokratie als Erfolgsfaktor
Neuem Platz geben
Alle vier Projekte waren mit dem soziokratischen Ansatz erfolgreich: Die Freiwilligen sind beim «Mutterprojekt» engagiert und gestalten dieses aktiv mit. Sie können aber auch ein eigenes «Spin-off» entwickeln und so etwas Neues entstehen lassen.
Vertrauen statt Kontrolle
Wichtig dabei ist, dass den Engagierten das Vertrauen entgegengebracht wird, Projekte eigenständig zu lancieren. Trotz unterschiedlicher Ansätze ermöglichen es alle vier Organisationen den Freiwilligen, ihr Engagement zu vertiefen, indem diese zum Beispiel mehr Verantwortung übernehmen oder neue Projekte initiieren.
Eine gemeinsame Mission
Jedes Projekt hat eine verbindende Mission, Werte und Gelegenheiten für den Austausch. So wachsen die Menschen gemeinsam.
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