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Neben- oder gegeneinander?

Text

Ralf Kaminski

Erschienen

07.08.2022

Alexandre Berthoud und Melanie Mettler an ihren Plätzen im Nationalratssaal

Nicht alltägliche Nachbarschaft: Die Grünliberale Melanie Mettler und der FDP-Mann Alexandre Berthoud sitzen seit Kurzem nebeneinander im Parlament. Wie das trotz unterschiedlichen Positionen klappt.

Der Zufall hat sie zusammengeführt

Das Ratsbüro verhandelt zu Beginn einer Legislatur, wo im Saal die Fraktionen sitzen, und die Fraktionschefinnen und -chefs entscheiden, wo genau das einzelne Parteimitglied sitzt.

So landete der 45-jährige Banker Alexandre Berthoud, als er Mitte Juni für die FDP Waadt neu in den Nationalrat nachrückte, neben der 44-jährigen Nachhaltigkeitsberaterin und Berner Grünliberalen Melanie Mettler, die schon seit Ende 2019 auf ihrem Gangplatz in der fünften Reihe sitzt. Nur fünf Tage haben sie bisher nebeneinander verbracht, die letzte Woche der Sommersession. «Und für mich war alles neu und verwirrend», sagt Berthoud, der gerne etwas mehr Zeit für Soziales gehabt hätte, aber viel zu beschäftigt war, sich im Ratsbetrieb zu orientieren. «Man sagt, es brauche eine Legislatur, bis man wirklich richtig drin ist», sagt Mettler. «Und Sitznachbarschaften, die helfen und Tipps geben, sind sehr wertvoll.»

Sie selbst habe enorm davon profitiert und unterstützt nun auch gern ihren neuen FDP-Kollegen aus der Waadt. «Es ist zum Beispiel nützlich, die Dienstleistungen zu kennen, die einem zur Verfügung stehen.» Etwa dass man sich eine Übersicht über sämtliche Medienbeiträge zu bestimmten Themen zusammenstellen lassen könne. «Denn es ist sonst schlicht unmöglich, sämtliche relevanten Artikel mitzubekommen», sagt Mettler.

Sitznachbarschaften sind hilfreich fürs Netzwerken.

Melanie Mettler, GLP-Nationalrätin

Die beiden verstehen sich gut, auch wenn sie sich noch nicht lange kennen. Sie haben offensichtlich einen ähnlichen Humor und sofort allerlei zu besprechen, als sie sich für das Fotoshooting des Migros-Magazins im Bundeshaus treffen. «Es hilft natürlich, dass wir der gleichen Generation angehören», sagt Berthoud. 

Haben sie trotz der kurzen Nachbarschaft schon ein paar Eigenheiten voneinander kennengelernt? Mettler überlegt. «Alexandre neigt dazu, sich ziemlich breitzumachen», erklärt sie dann und lacht. Berthoud, ein Bär von einem Mann, grinst breit und gelobt gespielt reumütig Besserung.

Respekt und Austausch

Beide haben schon zuvor in kantonalen oder städtischen Parlamenten gesessen und reichlich Erfahrung. Eine richtig schwierige Sitznachbarschaft hatten sie aber noch nie, sagen beide. Dennoch sei es nicht selbstverständlich, dass man sich parteiübergreifend so rege und gut austausche, wie sie das täten, sagt Mettler. «Der Nationalrat ist ein Haifischbecken.»

Was macht denn eine gute Nachbarschaft in einem Parlament aus? «Gegenseitiger Respekt», sagt Berthoud, «auch wenn man nicht der gleichen Meinung ist.» Mettler findet vor allem die Bereitschaft wichtig, sich auszutauschen, andere Perspektiven anzuhören, zu diskutieren. «Dafür wurden wir schliesslich gewählt.» Das gelte auch, obwohl FDP und GLP bei Wahlen Konkurrenten seien. «Ich erhoffe mir sogar, dass ich beim einen oder anderen Geschäft in Alexandre einen Verbündeten finde.»

Es hilft natürlich, dass wir der gleichen Generation angehören

Alexandre Berthoud, FDP-Nationalrat

Zur geplanten Revision der Pensionskasse haben die beiden schon fruchtbare Gespräche geführt. Ob man sich auch bei Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen findet, muss sich hingegen noch zeigen. Berthoud unterstreicht, dass die FDP Waadt vergleichsweise progressiv sei und klingt so, als ob er für Gespräche zu diesen Themen durchaus offen wäre.

Die Sprache der Nachbarschaftsbeziehung ist Französisch. «Ich verstehe Deutsch recht gut, muss mich aber beim Sprechen noch verbessern», erklärt Berthoud. Mettler hingegen hatte nun schon länger Gelegenheit, ihr Französisch im Bundeshaus zu üben. «Und der Kanton Bern, in dem ich aufgewachsen bin, ist im Unterschied zur Waadt ein zweisprachiger Kanton.»

Romands halten zusammen

Kulturelle Unterschiede zwischen der West- und der Deutschschweiz machen sich auch im Nationalrat bemerkbar: «Die Romands halten manchmal bei Themen über alle Parteien hinweg zusammen, wenn sie etwas durchsetzen wollen, so was gibts bei den Deutschschweizer Parlamentsvertretungen eigentlich nie», erklärt Mettler.

Und bei den Romands sei dann immer irgendwann Zeit für den Apéro, das gehöre einfach dazu, sagt Berthoud. «Es ist unsere Art zu netzwerken, und selbstverständlich sind die Kolleginnen und Kollegen aus der Deutschschweiz immer herzlich willkommen.» Auch Sitznachbarschaften seien fürs Netzwerken hilfreich, ergänzt Mettler. «Wer schon länger hier ist, kann die Neulinge mit interessanten und einflussreichen Leuten ins Gespräch bringen.»

So habe sie zum Beispiel den Bauernverbandspräsidenten Markus Ritter (Die Mitte) kennengelernt, der für seine erfolgreiche Parlamentsarbeit berühmt und berüchtigt sei. «Von solchen Kollegen kann man handwerklich viel lernen.» Berthoud räumt ein, dass er im Rat noch viel zu lernen habe, und ist froh um Mettlers Unterstützung – und die der anderen in ihrer Sitzreihe. Normalerweise geht das Grüppchen einmal pro Session zusammen frühstücken. «Das ist wohl schon ein ungewöhnlich guter Zusammenhalt», sagt Mettler.

Im Laufe ihrer Nachbarschaft werden die beiden sicherlich noch einige inhaltliche Differenzen entdecken. Einig sind sie sich jedenfalls, dass die Schweiz sich mehr um den Zusammenhalt bemühen muss – nicht nur über die Sprachgrenzen hinweg. «Wenn ich mir anschaue, wie verschieden die Leute in der Stadt oder auf dem Land denken, mache ich mir schon manchmal Sorgen», sagt Berthoud. Mettler ergänzt: «Aber genaudarum geht es hier im Parlament: Diese Differenzen ansprechen, diskutieren und Lösungen finden, mit denen möglichst viele eben können.»

Foto/Bühne: Annette Boutellier

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