Tuuut, tuuut! Vor jeder Tunneleinfahrt hupt die Monte-Generoso-Bahn kurz. Das Tempo wird gedrosselt, dann rattert die einzige Zahnradbahn des Tessins mit gemütlichen 18km/h durch den Berg. «Die Talfahrt macht noch etwas mehr Spass», sagt Geschäftsführer Lorenz Brügger verschmitzt. Bei 32.5 Tonnen Gewicht müsse man das Bremsen ganz genau im Griff haben. «Mit der Zeit bekommt man aber ein richtig gutes Gefühl für den Zug.» Mit einem breiten Grinsen bedient er im Führerstand die Hebel und Knöpfe. Ein wahr gewordener Bubentraum? «Überhaupt nicht! Das Interesse an der Lokführer-Ausbildung hat sich erst durch den Job ergeben», sagt der 54-Jährige.
Jobtausch als zündende Idee
Seit vier Jahren leitet er die Geschicke der Bergbahn, die zum Migros-Kulturprozent gehört. «Für einen besseren Austausch untereinander habe ich eingeführt, dass all unsere Management Bord-Mitglieder jährlich einen Tag lang in einem anderen Sektor des Unternehmens arbeiten.» Die Marketingfrau hilft im Service aus, der Techniker putzt auf dem Campingplatz Glace oder die Küchenchefin tauscht den Herd gegen das Büro. Um die Bedürfnisse seines Fahrpersonals besser zu verstehen, ging der Chef noch einen Schritt weiter und meldete sich kurzerhand für die Lokführer-Ausbildung an. «Mit dem Hintergedanken, dass ich dem Team auf Augenhöhe begegnen kann.»
Näher an Kundschaft und Belegschaft
Die theoretische Prüfung hat Brügger bereits im Frühling bestanden. Jetzt geht’s um die Praxis. Heisst: Jeden Tag um halb sieben den Zug aus der Remise holen, Bremsen checken, Türen checken und dann auf Streckenkontrolle. «Es gibt über Nacht immer wieder kleinere Steinschläge», erklärt Brügger. Da muss man dann mal kurz einen Felsbrocken von den Gleisen räumen, bevor die Strecke für den Tagesbetrieb bereit ist. Danach fährt Brügger das Personal des Ausflugs- und Veranstaltungsorts «Fiore di pietra» auf den Monte Generoso. Auch wenn er über Mittag einen Geschäftstermin auf dem Berg hat, fährt der Chef den Zug schnell selbst die 40 Minuten hoch und dann wieder runter. «Die nötigen Fahrstunden für die Anmeldung zur praktischen Prüfung hatte ich so im Nu erreicht». Möglich machen das auch die Ausbildner im eigenen Betrieb. «Der Chef hats schon richtig gut drauf, aber er fährt eher am oberen Tempolimit», meint Lokführer Stefano B. während unserer Übungsfahrt lachend.
Von Juli bis September wird Brügger – dann als eidgenössisch geprüfter Lokführer – die Freitagsschicht übernehmen. Auch Billettkontrolle und Zugsdurchsagen gehören dann zu seinem Job. Einmal pro Stunde fährt die Bahn von Capolago auf den Gipfel des Monte Generoso. Hier steht sie dann eine halbe Stunde vor der Rückfahrt ins Tal. «Für mich ist diese Pause eine tolle Gelegenheit, um mit den Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch zu kommen», meint Brügger. Er ist ein Machertyp, der das Angenehme gerne mit dem Nützlichen verbindet. Und so hat er selbstverständlich auch schon für die Zeit nach dem Ruhestand vorgespurt. «Sobald ich pensioniert bin, möchte ich regelmässig Wochenendschichten übernehmen. So bleibe ich dem Berg verbunden – und kann den Vätern und Müttern im Team einen freien Sonntag mit der Familie ermöglichen.»
Fotos: © Claudio Bader
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