Header

Diese Grossmütter wollen kein Enkel-Hüte-Dienst sein

Text

Anne-Sophie Keller

Erschienen

10.05.2023

Grosseltern mit ihrer Enkelin

Was, wenn Oma nicht regelmässig hüten will? Drei Grossmütter über Grenzen, späte Unabhängigkeit und schwierige Gespräche mit ihren Kindern.

Sag uns deine Meinung!

Was denkst du zum Thema? Teil es uns mit in den Kommentaren!

Heidi Anderes hat nicht viel Zeit zum Telefonieren. «Wir sind gerade unterwegs in den Kinderzoo», sagt die Grossmutter fröhlich. Ein klassischer Familienausflug an ­einem schönen Mittwoch im Mai? Nicht ganz. Denn die Thunerin ist zwar auch Grossmutter – aber eben nicht nur. Den Ausflug an diesem Tag unternehmen ihr Ehemann und sie allein.

Die 66-Jährige gehört zu einer neuen Generation von Grossmüttern, die sich nicht regelmässig für die Kinder­betreuung verpflichten will. Ihre Grosskinder sind ihr wichtig – aber ihre Freizeit ist es auch.

Diese Haltung mutet revolutionär an. Denn: Ohne Grosis ginge in der Schweiz gar nichts. Hierzulande wird ein Drittel aller Kinder regelmässig von den Grosseltern betreut (siehe Box unten) – meistens von den Grossmüttern. Nur dank dieser Fron­arbeit klappt die Vereinbarkeit vieler Familien.

81 %

der in einer repräsentativen Umfrage befragten Personen in der Schweiz finden, Grosseltern sollen ihre Enkel betreuen.

¹∕₃

der Kinder bis 12 Jahre wird regelmässig von den Grosseltern betreut.

8 Mrd.

Laut Bundesamt für Statistik leisten Grosseltern pro Jahr 160 Millionen Stunden Hütedienst. Das ­entspricht einer Wirtschaftsleistung von rund acht Milliarden Franken.

65 %

sind der Meinung, dass man dafür entschädigt werden sollte. Bei Männern ist die ­Erwartung an die Grosseltern höher. Sie selbst leisten jedoch weniger freiwillige Fürsorgearbeit. Quelle: Generationen-Barometer 2023

Enorme Belastung

Zuerst die Kinder hüten, dann die Grosskinder? Auch Esther Knaus (78) will nicht in dieses alte Rollenbild zurückfallen: Sie hat jahrelang eine eigene Firma geführt, war viel unterwegs und hat vier Kinder grossgezogen. Nun will sie ­ihren Ruhestand geniessen.

«Ich will nicht für den Rest meines Lebens auch noch fremdbestimmt sein.» Sie selbst war als Mutter schon keine «Gluggere»: «Dadurch wurden meine Kinder selbständig und konnten auch zu ihrem Vater eine enge Beziehung aufbauen.» Ihre Kinder wollte sie nie an sich binden – und sie erwartet im Gegenzug auch nicht, dass sie später dann für sie da sind.

«Es ist eine enorme Belastung, wenn man für die Eltern Verantwortung übernehmen muss.» Auch bei ihrer Schwiegertochter wolle sie nicht unangekündigt auf der Matte stehen. «Wenn meine Kinder mich brauchen, sollen sie mir das sagen.»

Und wenn nicht? Dann geht Esther Knaus rudern, liest oder organisiert Jazzkonzerte. «Meine Familie stammt aus Holland. Dort ist es gängig, dass sich die Eltern gegenseitig die Kinder abnehmen. In der Schweiz denkt man immer noch, dass die Frauen allein für die Kinder verantwortlich sind. Und seitens Wirtschaft gibt es keine Bereitschaft, eine gute Lösung für Familien zu finden», empört sie sich.

Wie oft hüten die Grosseltern in deiner Familie die Enkel?

Will sich nicht aufopfern

Auch Heidi Anderes plädiert für bessere Betreuungsangebote und dafür, dass sich auch die Väter mehr kümmern. «Wir Frauen haben das Recht zu sagen: Jetzt ist gut.» Sie wolle für den Kinderwunsch ihrer Kinder nicht ihr Leben, ihre Partnerschaft und ihr Umfeld opfern.

Das ist in der Praxis oft schwierig umzusetzen. «Mein Sohn würde sich wünschen, dass wir uns mehr kümmern und mehr mit den Enkeln unternehmen.» Aber beide Söhne hätten lange zu Hause gewohnt, darum geniesse sie die Zeit mit ihrem Mann nun umso mehr. Vor fünf Jahren erhielt sie eine Brustkrebsdiagnose. «Das bestätigte noch mal meine Haltung: Jetzt will ich machen, was ich will.»

Mehrere Senior:innen vergnügen sich an einem Hafen

Viele Grosseltern wollen ihren Ruhestand unabhängig geniessen.

Oma nur für Notfälle

Wenn sich Grosis für sich entscheiden, stösst das oft auf Unverständnis. Petra Schmid (67) etwa wurde als hart bezeichnet, als sie einer Kollegin mit­teilte, dass sie lediglich eine Oma für Notfälle sei. «Meine Töchter fanden, ich könne ja jeweils an meinem freien Tag hüten. Aber ich brauchte mein Wochenende.

Dazu kommt: «Ich habe drei Kinder grossgezogen, das reicht.» Vor der Geburt ihres ersten Grosskinds haben sie und ihr Ex-Mann sich getrennt. Schmid musste ihr Leben neu gestalten. Die neue Aufgabe als Grossmutter wäre da doch gelegen gekommen? «Nein. Ich muss nicht hüten, damit ich erfüllt bin. Ich liebe meine Grosskinder heiss und nehme mir gern genug Zeit. Aber nicht als neue Aufgabe.»

Vorbildlich unabhängig

Seit ihrer Pensionierung habe sie sich ohnehin noch nie gelangweilt. «Ich habe mein Umfeld schon als Mutter stark gepflegt. Als die Kinder klein waren, ging ich oft in den Nähkurs oder auch mal allein mit einer Freundin in die Ferien. Nun verbringe ich viel Zeit mit meinem neuen Freund.»

Ihre Unabhängigkeit findet eine ihrer Töchter mittlerweile vorbildlich. «Sie sagte, sie sei stolz, wie ich mich abgrenzen könne. Aber auch froh, dass ich ab und zu doch einspringe.»

Auch Esther Knaus’ kontroverse Haltung schlug Wellen: In der SRF-Sendung «Club» zum Thema wurde sie noch als Rabengrossmutter dargestellt. «Aber danach kamen Leute in der Migros auf mich zu und haben sich für meine Offenheit bedankt.» Kürzlich sagte ihr eine Freundin, sie habe sich dank ihr zum ersten Mal getraut, Nein zu sagen.

Fotos: Getty Images

Haben wir dein Interesse geweckt? Bleib auf dem Laufenden über unsere neuesten Inhalte und melde dich jetzt an für den Engagement-Newsletter.

Wie wichtig sind Grosseltern für die Kinderbetreuung in deiner Familie? Teil es uns mit in den Kommentaren.

Deine Meinung