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Plötzlich Single mit 55 – was nun?

Text

Yvette Hettinger

Erschienen

04.09.2023

Frau auf Sofa

Die Beziehung zerbricht nach Jahrzehnten – und es stellt sich die Frage: Soll ich eine*n neue Partner*in suchen? Und wie geht das überhaupt? Eine Anleitung.

Nach 15 oder 20 Jahren Beziehung bin ich nicht mehr so in Übung mit Daten. Wahrscheinlich ist es auch schwieriger als früher?

Patrick Brayenovitch: Es ist auf jeden Fall anders. Mit 50 geht man ja weniger oft auf Partys und bewegt sich nicht mehr in Peer-Groups wie in der Schule oder in der Lehre. Und während vieler Jahre hat man legitimerweise den Fokus aufs Familienleben gelegt. Alles in Allem: Das Beziehungsumfeld ist kleiner als früher, das erschwert die Suche etwas. 

Wie gehe ich die Partnersuche an?

Am besten findet man zuerst raus, was man eigentlich will. Will ich zum Beispiel die letzten 30 Jahre copy-pasten? Männer könnten ja immerhin mit 50 nochmals Kinder haben. Vielleicht möchte jemand aber bewusst eine andere Beziehungsform als vorher. Eine kleine Auszeit mit etwas Selbstreflexion ist also angezeigt. So kann man auch die die vergangene Beziehung gut abschliessen.

Zur Person

Die Tipps stammen von Single-Coach Patrick Brayenovitch (52). Wenn's immer noch nicht klappt: Brayenovitch bietet Singles Gruppenkurse und Einzelberatungen an: Single Coaching Kurse

Wenn ich soweit bin, bieten sich mir zahllose Möglichkeiten, von digitalen Plattformen über Speeddating bis zu Single-Agenturen und Flirtkursen. Wie findet man das Passende?

Indem man den Dingen folgt, die einem Freude machen. Vielleicht habe ich Lust auf persönliche Begegnungen und gehe an ein Speeddating. Oder ich schreibe gern, dann ist eine Online-Plattform geeignet. Wichtig zu wissen: Es kostet ein wenig Mut, sich in diese Welt zu begeben. Aber danach überwiegt die Freude am Neuen, an Erlebnissen, Bekanntschaften, am Flirten! Also Mut fassen und ausprobieren.

Auf Plattformen erstellt man sich ein Profil. Was soll ich alles von mir preisgeben?

Die Faustregel ist: Nur das, was du einem fremden Menschen auf der Strasse spontan auch erzählen würdest.

Mit Mitte 50 bin ich ja nicht mehr so taufrisch. Aber es ergibt wohl keinen Sinn, meine Angaben zu pimpen? 

Ein klein wenig schon. Das macht jeder, das gehört zum Spiel. Ich würde mich jetzt nicht grad vom Arbeitslosen zum erfolgreichen Manager schummeln. Aber wenn man sich ein Mü sportlicher darstellt, als man wirklich ist, ist das völlig ok. Ich würde sagen: Man darf sich ruhig in blumigen Worten umschreiben. 

Ab wann soll man nach einer Trennung wieder daten?

Irgendwann kommts zum ersten Date. Wo treffen wir uns? 

Da, wo man sowieso gerne hingeht. Vielleicht zu einem Spaziergang an der Aare? Oder zum Golfen? Das Ziel ist, dass man etwas tut, das so oder so ein schönes Erlebnis wird, auch wenn nichts weiter daraus entsteht. Solche Treffen sind in der Regel wunderbar locker. Deshalb würde ich nicht das typische Setting einer Bar wählen. Dort schreit alles «Dating!», und das macht einen verkrampft.  

Wie bereite ich mich auf das Date vor, damit ich keine schlechte Falle mache? 

Man kleidet sich so, dass die richtige Botschaft rüberkommt. Eine Frau, die offen ist für einen One-Night-Stand, putzt sich in der Regel mehr raus, als wenn sie etwas Längerfristiges sucht. Der Mann kommt analog dazu eher im engen Shirt, das den durchtrainierten Oberkörper erahnen lässt, oder alternativ in lockerer Kleidung. Wichtig ist, dass man nicht verkleidet daherkommt und sich wohlfühlt. Wenn man das das ganze Date hindurch am Ausschnitt oder dem zu kurzen Rock herumzupft, ist das unentspannt.

Soll ich mir Gesprächsthemen zurechtlegen? 

Wenn man zu Nervosität neigt, klar! Politik ist vielleicht nicht die beste Wahl. Aber ein paar überraschende Fragen helfen, wie etwa «Wenn du ein Tier wärst, was wärst du?». Tabu-Thema gibt es nur eines: Die schlechten Seiten des Ex-Partners respektive der -Partnerin.  

Was ist die grösste Datingfalle?

Dann sitzt mir die Traumfrau oder der Traummann gegenüber. Ich kann vor Aufregung kaum sprechen und verschütte prompt das Getränk. Alles nur peinlich. Was nun? 

Das Allerwichtigste: Nicht fliehen! So ein Date braucht Mut, nach einer langen Beziehung erst recht. Am besten beobachtet man sich selber mit Humor. Wir sind ja auch genug alt für so etwas und haben schon einige schwierige Momente hinter uns gebracht.  

Ich finde mein Gegenüber auf der Stelle absolut schrecklich. Wie komme ich da raus? 

Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens, Flucht: Vielleicht hat man vorher den Anruf einer Freundin bestellt und gibt dann vor, sofort nach Hause zu müssen. Kann aber sein, dass der oder die andere das durchschaut. Zweitens: Man ist ehrlich und sagt sofort, dass das nichts wird. Einige sind dafür dankbar, aber nicht alle. Da muss man durch.  

 

Die ersten fünf Dates sind frustrierend. Niemand will mich. Soll ich nachfragen, warum? 

Das würde ich nicht, es bringt nichts. Besser einfach weitermachen, die Dates gar nicht zählen, nicht verzweifeln! Wenn man ein Treffen so gestaltet, dass es ohnehin Spass macht, ist ja nichts verloren.  

Nach drei Wochen habe ich drei potenzielle Partner*innen an der Angel. Jetzt teste ich genüsslich aus, welche*r der oder die beste ist, oder? 

Wenn man mag. Dabei würde ich aber unbedingt alle drei transparent informieren. Auch auf die Gefahr hin, dass eine der Personen abspringt. Das muss man dann akzeptieren. 

Was, wenn mir das Leben nur noch langweilige, nervige und gekünstelte Menschen anbietet, die zudem alle nicht aussehen wie Angelina Jolie oder Brad Pitt? 

Dann würde ich mal meine Erwartungshaltung überdenken. Mit der Einstellung «das Gegenüber muss das haben, dieses sein und jenes bringen», tut man sich keinen Gefallen. Besser, man sagt sich «ich will eine gute Zeit haben und die Begegnung geniessen». Wenns gut läuft, gibt’s vielleicht ein Wiedersehen.   

Was will ich eigentlich?

Ob berufliche oder private Veränderung, finde zuerst heraus, was du eigentlich willst. Das rät Michela Güttinger (37). Sie leitet an der Klubschule Migros die Workshops «Design your life» und unterstützt Menschen, die an einem Scheideweg im Leben stehen. Ihre Grundfrage ist bei vielen Entscheidungen «Was liegt darunter?». Frisch Geschiedenen oder Getrennten rät die Coachin deshalb:  

Finde raus, was du willst

  • Schule deine Sensibilität und dein Differenzierungsvermögen zu wie du dich dabei fühlst und sei ehrlich mit dir selbst. 
  • Gilt es nach der Trennung eine plötzliche Leere zu füllen? Und geht das nur mit einer neuen Liebe? Oder auch mit Beschäftigungen, die dich ausfüllen? Tanzen, reisen, backen? Oder was, wenn du dich tiefer auf dich selber einlässt, auch einmal die Leere fühlst, ohne sie mit Ablenkung zu füllen
  • Nimm dir Zeit, um die vergangene Liebe und damit verknüpfte Ilusionenzu betrauern. Das kann konfrontierend sein, aber auch befreiend und erlaubt einen würdevollen Abschluss. Jorge Bucay sagt, jeder Verlust will betrauert sein, egal wie klein oder gross.
  • Welche Aspekte müssen eine Beziehung für dich füllen, was ist «nice to have» und wo kannst Kompromisse eingehen – werde ganz klar darüber. Dies kann sich mit der Zeit natürlich ändern.

Überprüfe alte Glaubenssätze      

  • Viele sagen: «Ich kann halt einfach nicht allein sein.» Wirklich? Schon ausprobiert? Auch hier ist es interessant, herauszufinden was darunter liegt.
  • Du glaubst, Kontakte knüpfen sei nicht deine Stärke? Stimmt das? Geh unter die  Menschen, beginne ein Gespräch, ganz niederschwellig – etwa beim Einkaufen. (Möglicherweise stellst du fest, dass du fürs Leben gern fremde Menschen anquatschst.)
  • «Ich gerate ja doch immer an die Falschen» – wirklich? Und wenn ja, finde heraus, warum. Hier kann Unterstützung von aussen helfen – ein Coaching oder eine Therapie etwa. Wir alle sind geprägt dadurch wie wir in frühen Jahren Liebe empfangen haben von unseren primären Bindungspersonen, nicht immer ist die Prägung die sich gewohnt anfühlt, gesund. 

Probiers aus

  • Die Natur mit ihren Zyklen ist für mich der beste Spiegel: Wenn innerlich gerade Herbstwetter herrscht, lass es zu. Komm im Winter zur Ruhe, dann wird es auch ein wahrer und nicht künstlich forcierter Frühling.
  • Finde mit kleinen Experimenten (Prototypen) heraus, was  dich glücklich macht und dir Sinn verleiht – etwas Kreatives tust oder dich für einen Zweck, der dir am Herzen liegst, einsetzt.
  • Welche Tiefe an Intimität und Verbundenheit magst du leben? Was ist deine Vision und stimmt dein Verhalten mit deiner langfristigen Vision überein?

Geh es langsam an

  • «Was steckt dahinter?» - um dich selber besser zu kennen, braucht es Verlangsamung.
  • Verliebtheit ist wunderschön, aber kann auch Stress fürs Nervensystem sein. Überstürze nichts, wenn du alte Muster hinter dir lassen magst. Womöglich erkennst du den Menschen besser, wenn der Crush vorbei ist.
  • Betrachte die neue Beziehung nicht als Projekt, das es irgendwie zu gestalten gibt. Auch kannst du nicht mit Potential eine Beziehung führen.
  • Sorge gut für dich und reguliere dein Nervensystem. Dafür können verschiedene Embodiment Methoden helfen, welche Sensibilisierung und Wahrnehmung fördern. Zum Beispiel Somatic Experiencing, Osteopathie, Shiatsu, Yoga, Meditation, Massagen.  

Foto/Stage: Getty Images

Welche Erfahrungen hast du beim Daten nach einer Trennung gemacht? Schreib es uns in den Kommentaren!

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