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Die Schweizer Familie ist nicht mehr das, was sie einmal war

Text

Tin Fischer

Erschienen

20.09.2022

50er-Jahre-Familie sitzt auf Sofa

Frauen sind unabhängiger, Kinder kriegen weniger Ohrfeigen, und «uneheliche Babys» sind Alltag. Die Entwicklung der Schweizer Familie in 12 erstaunlichen Grafiken.

Kinderzahl

Die Familien waren gross im 19. Jahrhundert. Vier Kinder hatte im Durchschnitt jede Frau. Hoch war aber auch die Kindersterblichkeit: Jedes fünfte Kind starb vor dem fünften Geburtstag. Nach dem 2. Weltkrieg erlebt die Schweiz nochmals einen Babyboom. Verheiratete Soldaten erhielten grosszügige Entschädigungen. Die Motivation war also gross, früh eine Familie zu gründen. 1965 folgte dann der »Pillenknick«, der mit einem generellen Wertewandel einherging.

Grafik Anzahl Kinder

Durchschnittliche Kinderzahl je Frau. Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

«Uneheliche» Kinder

Nur eines von 25 Babys kam früher ausserhalb der Ehe auf die Welt – es war nicht gern gesehen. Das änderte sich – zunächst sehr langsam – während den 1980er-Jahren und dann sehr schnell ab den späten Neunzigern. Heute wird mehr als jedes vierte Kind «unehelich» geboren.

Grafik Unehelich

Unverheiratete Mütter in Prozent; Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Eltern-Alter

25 Jahre alt war eine Mutter noch 1970 bei ihrem ersten Kind. Dann setzt ein Wandel ein. Die Pille vereinfacht die Familienplanung. Junge Frauen waren immer häufiger berufstätig, strebten höhere Bildung und Karrieren an – in der Schweiz damals wie heute nur bedingt mit Kindern vereinbar. Entsprechend stieg das Alter der Mütter (und Väter) beim ersten Kind. Medizinische Möglichkeiten helfen heute mit.

Grafik Elternalter

In blau: Durchschnittliches Alter der Mutter bei der Geburt aller Kinder, also zum Beispiel drei Kinder, das erste mit 24, das zweite mit 26 und das dritte mit 30, ergibt ein Durchschnittsalter von 27; Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Adoptionen

Zunächst gingen ab den achtziger Jahren die Adoptionen von Schweizer Kindern zurück. Alleinerziehende Mütter wurden nicht mehr stigmatisiert und wurden finanziell unabhängiger. Mit der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 verpflichteten sich Länder dafür zu sorgen, dass Kinder möglichst bei ihren Familien im Land bleiben können. So gingen auch die Adoptionen aus dem Ausland zurück. Seit 2018 nehmen Adoptionen wieder etwas zu: die Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare wurde damals legalisiert.

Grafik Adoptionen

Anzahl Adoptionen 1979-2021; Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Gewalt

Das Familienleben ist ein bisschen friedlicher geworden. Je jünger die befragten Menschen sind, umso häufiger sind sie ohne elterliche Gewalt aufgewachsen. Schwere Gewalt wie Faustschläge oder Tritte erleben immer weniger Kinder. Dazu haben ein gesellschaftlicher Wandel, aber auch Gesetzesänderungen beigetragen. Züchtigungen wie hartes Anpacken oder Ohrfeigen haben aber nach wie vor die meisten erlebt. In Ländern mit schärferen Gesetzen ist das anders.

Grafik Gewalt

Quelle: Dirk Baier (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW)

Teilzeitarbeit

Frauen waren ab den 1970er-Jahren immer häufiger berufstätig, allerdings vor allem in Teilzeit. So nahm der Anteil der Teilzeitbeschäftigten am Arbeitsmarkt rapide zu. Hinzu kamen flexiblere Arbeitszeitmodelle für Männer wie für Frauen. Die Familie mit dem Vollzeit erwerbstätigen Vater und der allein im Haushalt beschäftigten Mutter wird immer seltener.

Grafik Teilzeit

Anteil Teilzeitbeschäftigte gemessen am gesamten Arbeitsmarkt. Bis heute werden drei Viertel der Teilzeitstellen von Frauen besetzt; Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Heirat und Scheidung

Nichts – ausser der Liebe – hat so viel Einfluss aufs Heiraten wie Krisen und Kriege. Der 1. Weltkrieg verschob zahlreiche Hochzeiten auf die Zeit nach dem Krieg. In den 1970er-Jahren dämpfte die Wirtschaftskrise die Lust am Heiraten. Scheidungen beeinflussen vor allem Geld und Gesetze. Seit den siebziger Jahren werden Frauen wirtschaftlich unabhängiger. Gesetzliche Anpassungen verursachen die Sprünge um die Jahrtausendwende. Mittlerweile sinkt die Scheidungsrate wieder: lange überfällige Trennungen wurden erledigt.

Grafik Heiraten und Scheiden

Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Ehedauer

Werden Ehen immer kürzer, wenn immer mehr geschieden wird? Im Gegenteil: Vor allem Ehen, die erst der Tod scheidet, werden immer länger. 46 Jahre betragen sie heute. Ein Grund ist schlicht die gestiegene Lebenserwartung. Vor 100 Jahren hatte man mit 65 noch zehn Jahre zu leben. Heute sind es über zwanzig Jahre, die man gemeinsam in Rente verbringen kann.

Grafik Ehedauer

Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Binationale Ehen

Im wirtschaftlichen Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg zogen vor allem Menschen aus Italien in die Schweiz. In den neunziger Jahren folgten jene vom Balkan, dann aus der EU. Entsprechend diverser wurden die Ehen. Einen Unterbruch gab es in den 1970ern: eine fremdenfeindliche Stimmung machte sich breit (siehe Überfremdungs-Initiative), die Wirtschaft stagnierte. Mehr Ausländer verliessen damals die Schweiz, als welche einwanderten. Heute ist jede zweite Ehe binational oder eine «Mischehe», wie es früher hiess.

Grafik Binationale Ehen

Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Haushalte

Früher hiess es: Alle unter einem Dach. Der Mehrpersonenhaushalt – also neben den Kindern beispielsweise auch Grosseltern im gleichen Haus – war der Standard. Heute gibt es diese Lebensform kaum noch. Sie wurde abgelöst vom Single-Haushalt, wobei Singles genauso gut 20 wie 80 Jahre alt sein können. 0,1% der Schweizer Haushalte entfallen derzeit auf gleichgeschlechtliche Paare mit mindestens einem Kind unter 25 Jahren. Mit der Ehe für alle, die seit Juli diesen Jahres in Kraft ist, dürfte diese Zahl künftig steigen.

Grafik Haushalte

Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Ausgaben

Vor 100 Jahren gab eine Familie die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Seither sind die Preise für Lebensmittel – mit Unterbrüchen während den Weltkriegen – drastisch gefallen, der Düngemittel-Revolution in der Landwirtschaft sei Dank. Nahezu unverändert geblieben sind die Ausgabenanteile fürs Wohnen und für Energie. Zugenommen haben die Ausgaben für Verkehr, jedenfalls bis in die 1970er-Jahre: Wer konnte, kaufte sich damals ein Auto.

Grafik Ausgaben

Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Einkommen

Nicht nur verdienen wir immer mehr. Man kann sich vom Geld auch immer mehr kaufen. Die Kurve zeigt die prozentuale Veränderung der Reallöhne (also der inflationsbereinigten Löhne) im Vergleich zum Jahr 1939. Gut erkennbar ist der wirtschaftliche Boom der sechziger Jahre.

Grafik Reallohn

Entwicklung Reallöhne 1939=100 Prozent; Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS)

Vater, Mutter, Kind?

Migros-Engagement setzt sich ein für den Zusammenhalt der Schweizer Gesellschaft. Unter anderem werden vom Migros-Kulturprozent diverse Aktivitäten im Bereich Lebens- und Familienmodelle gefördert. Um den gegenseitigen Austausch und das Verständnis füreinander zu stärken.

Wie ist das Leben in einer Familien-WG? Weshalb ist es legitim, wenn auch Singlefrauen ihren Kinderwunsch erfüllen? Und wie erkläre ich meinem Kind, dass es in manchen Familien zwei Papis oder zwei Mamis gibt? Und was verstehen eigentlich Kinder selbst unter Familie?

Und hier findest du Tipps für Bücher, die kindergerecht aufzeigen, welche Familienformen es heute gibt.

Foto/Bühne: Getty Images

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