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«Wir verschenken VillageOffice, um stärker zu wachsen»

Text

Lea Müller

Erschienen

15.12.2021

Jenny Schäpper-Uster, Co-Founderin von VillageOffice, im Gespräch mit Stefan Schöbi, Leiter Migros-Pionierfonds.

Das Projekt VillageOffice hat eine lange Reise hinter sich. Und es bleibt spannend: Fast sechs Jahre nach der Gründung steht ein grosser Schritt bevor.

Als eines von hundert Projekten begleitet die Genossenschaft VillageOffice die Leser*innen auf Schritt und Tritt durch die zwölf Kapitel des Handbuchs für Pionier*innen. Das Pionierprojekt hat auf seiner Reise Höhen und Tiefen erlebt und steht jetzt wieder vor einer grossen Veränderung. Pionierfonds-Leiter Stefan Schöbi und VillageOffice-Co-Founderin Jenny Schäpper-Uster sprechen im «Deep Dive» über erfolgreiche Allianzen, die Wirkungskette als Wegweiser und das Vertrauen im Team. 

Von 0 auf 100: Deep Dive mit Jenny Schäpper-Uster

Stefan Schöbi: Jenny, im Februar 2016 habt ihr VillageOffice gegründet. Und noch immer bist du Feuer und Flamme für dein «Kind»?

Jenny Schäpper-Uster: Aber sicher! Unser Ziel, 1000 Co-Working-Spaces ausserhalb der grossen Schweizer Städte, ist auch noch nicht erreicht. Aber VillageOffice ist längst nicht mehr nur mein Kind. Heute haben wir eine Community, die das Projekt trägt. Und die uns auch hilft, den Weg weiter zu gehen. Gerade hat diese Community einen wichtigen Entscheid getroffen. 

Allianzen bringen ein erfolgreiches Projekt weiter

Stefan: Wohin geht die Reise?

Jenny: Fast sechs Jahre nach dem Start werden wir uns vollständig neu aufstellen. Und zwar so, dass dies unsere Wirkung noch optimaler unterstützt. Die Community hat entschieden, dass wir das Modell VillageOffice zur Open Source machen, so dass jede und jeder dieses Modell kopieren kann. 

Stefan: Ihr verschenkt alles, was ihr aufgebaut habt? 

Jenny: Ja, weil wir so unser Ziel am besten erreichen. Aber wir verschenken nicht alles, was wir haben. Gleichzeitig mit dem Open Source Ansatz wollen wir auch die Corporate-Schiene nochmals angehen, mit der wir ursprünglich starten wollten. Für diesen Teil unserer Aktivitäten bauen wir zusammen mit einem starken Partner ein Joint Venture, denn jetzt, mit der rasanten Entwicklung unserer Arbeitswelt, ist die Zeit reif dafür. 

Stefan: Ein gewundener Weg, den ihr hinter euch habt, darauf kommen wir nochmals zurück. Aber nochmals zum grossen Schritt, der vor euch steht: War das ein einfacher Entscheid? 

Jenny: Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben lange unterschiedliche Szenarien verfolgt, haben dazu auch enge Kontakte in der Pionier*innen-Community des Migros-Pionierfonds genutzt und mehrere Lösungen parallel entwickelt. Es gab mehrere Interessent*innen, welche das etablierte VillageOffice-Angebot für Gemeinden übernehmen wollten. Schliesslich hat unsere Community entschieden: Wenn schon verschenken, dann richtig, als Open Source. Und dieser Entscheid fühlt sich gut und richtig an. 

Stefan: Im Handbuch «Von 0 auf 100» steht dieses Kapitel fast am Schluss, und es heisst dort, dass Erfolgswellen meist zu klein sind, um dauerhaft darauf zu reiten. Wie siehst du das? 

Jenny: Wir haben mit VillageOffice eine unglaublich spannende und immer wieder überraschende Reise hinter uns. Hätten wir nicht jede Chance genutzt, neue Allianzen zu schmieden, gäbe es uns heute nicht mehr. Die Erfolgswellchen, von denen du sprichst, helfen einem dabei. Aber unsere Erfahrung zeigt auch, dass es viel Ausdauer braucht, weil der Weg zu einem nachhaltigen Unternehmen viel viel länger ist, als man denkt.

Von 0 auf 100: Blick nach vorne

Wirkungskette als Wegweiser

Stefan: Zurück zur Wirkungskette. Wie wichtig war sie für die Entwicklung eures Projekts?

Jenny: Die Wirkungskette und vor allem die Annahmen, die man trifft, sind eine entscheidende Unterstützung für jedes Pionierprojekt. Sie sind der Wegweiser, der einem durch eine bewegte Realität leitet und einem hilft, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn der Weg dahin sich ändert.

Stefan: Ist euer Ziel heute noch dasselbe wie vor sechs Jahren?

Jenny: Unsere Vision ist immer noch exakt dieselbe. Das ist ja gerade die Stärke einer Vision. Dass sie einem Stabilität gibt, wenn alles ins Wanken gerät. Dass sie über die Zeit sogar an Kraft gewinnt. Wenn die Erfahrung zeigt, dass zentrale Annahmen in einem Projekt nicht haltbar sind, dann braucht man die Stabilität einer starken und geteilten Vision.

Stefan: Welche Rolle spielte die Vision für das Team?

Jenny: Sie hat uns zusammengeschweisst und über viele anspruchsvolle Situationen hinweg geholfen, und zwar vom ersten Tag an. Wir haben sie ganz zu Beginn und sorgfältig und vor allem gemeinsam entwickelt.

Stefan: Umso flexibler musstet ihr mit euren Annahmen umgehen.

Jenny: Ja, das war eine richtige Achterbahn. Wir haben drei Anläufe gebraucht, um das Angebot von VillageOffice präzise und erfolgreich zu platzieren.

Stefan: Annahme eins?

Jenny: Dass die Arbeitnehmer*innen selbst entscheiden, wo sie arbeiten wollen. Dass sie dazu einigermassen leicht die Unterstützung ihrer Firma gewinnen. Da hat sich gezeigt: Alle reden von einer flexiblen Arbeitswelt, aber wenn es ums Tun geht, sind die Arbeitgeber*innen konservativ und es bleibt alles beim Alten. Da wurde klar: der Arbeitgeber ist der Entscheidungsfaktor.

Stefan: Zurück auf Feld eins.

Jenny: Genau. Wir haben auf Basis dieser Erfahrungen die «Coworking-Experience» entwickelt, ein sehr niederschwelliges Angebot für Grossfirmen, um im Feld des mobilen Arbeitens erste Erfahrungen zu machen, fachlich begleitet von der Universität St. Gallen. Hier wurde klar: die Firmen wollen nicht dezentral arbeiten. Die Nachfrage war nicht da.

Stefan: Annahme widerlegt. Und jetzt?

Jenny: Wir haben dann Kontakt mit Gemeinden aufgenommen und gemerkt: die Entwicklung des ländlichen Raums, da drückt der Schuh, da finden wir einen Partner, der unsere Vision teilt. Wir haben mit den potenziellen Kund*innen gemeinsam ein Programm entwickelt, wie sie in ihrer Gemeinde die Standortattraktivität mit Coworking unterstützen können. Und das hat gezogen und zieht bis heute.

Stefan: Erst der dritte Anlauf war erfolgreich: Woher habt ihr die Ausdauer?

Jenny: Unsere Vision war stark genug, um uns über alle Rückschläge hinweg zu tragen. Wir haben uns immer wieder aufgerappelt. Klar, das war nicht immer lustig. Aber schliesslich war uns immer wieder bewusst: wenn das jemand packt, dann wir. Und also haben wir den nächsten Schritt gemacht. Bis es funktioniert hat.

Von 0 auf 100: Wirkungskette

Vertrauen ist die Basis

Stefan: Du sprichst immer von «wir». Wie wichtig ist dieses Wir? 

Jenny: Das Team ist der zentrale Faktor für jedes Pionierprojekt. Ohne ein starkes Team hätten wir es nie durch alle Krisen geschafft. Darum lohnt es sich, früh in dieses Team zu investieren. Und früh heisst: bevor man vor den grossen Herausforderungen steht. Wir haben ganz zu Beginn unseren Zweck, den Purpose von VillageOffice, definiert und diesen in unseren Gründungsunterlagen auch verankert. Wir haben uns früh darüber unterhalten, was sind die roten Linien, die wir nicht überschreiten werden. Wenn es schwierig wird, dann hilft dies, dass man das Ziel vor Augen behält und nicht kippt. 

Stefan: Was für ein Team braucht es dazu? 

Jenny: Wir waren ein sehr vielseitiges Team. Wir haben nicht einfach Kolleg*innen zusammen genommen. Unsere Teammitglieder haben wir aus dem erweiterten Kreis gefunden. Basis war die gemeinsame Leidenschaft, eine bestimmte Wirkung zu erzielen. 

Stefan: Reicht diese Leidenschaft?

Jenny: Auch Kompetenzen sind zentral. Und zwar vielseitige Kompetenzen, möglichst wenig Doppelspurigkeiten. Das hilft, das gemeinsame Ziel aus unterschiedlichen Perspektiven anzuschauen. Das eröffnet neue Wege, macht einen flexibel. Jeder kann so seine Stärken zur Geltung bringen. 

Stefan: Leidenschaft und Kompetenzen als Schlüssel für ein Team? 

Jenny: Und Vertrauen! Vertrauen ist alles, das kann man gar nicht genug betonen. Das ist die Basis, auf der ein Team steht. Vertrauensbrüche bringen das Team an die Grenze. Transparenz und Vertrauen, das waren unsere Leitplanken. 
 

Von 0 auf 100: Teamplay

Foto/Bühne: Halsundbeinbruch

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