Yannick Aellen: «Mode sollte schon auch Spass machen»

Wie schaffen wir den Spagat zwischen Nachhaltigkeit und immer neuen Kleidern fürs Instagrambild? Wir haben mit Mode-Suisse-Gründer Yannick Aellen über die Modebranche gesprochen – und gelernt, dass auch «fake» nachhaltig sein kann.
Herr Aellen, wie viel ist ein T-Shirt wert?
Es ist schwierig, das auf den Franken genau zu sagen. Aber ich würde sagen, ein normales weisses T-Shirt sollte mindestens 30 bis 35 Franken aufwärts kosten.
Was halten Sie von T-Shirts für 5.95 Franken?
Hinter einem T-Shirt stecken Produktion und Handarbeit, Einkauf, Materialien. Ein solch niedriger Preis kann gegenüber den Leuten, die daran beteiligt sind, nicht fair sein. Doch natürlich gibt es zum Beispiel Familien mit kleinem Budget, die froh sind um solche Angebote. Hier kann ich absolut verstehen, dass zur Billigware gegriffen werden muss.
Was halten Sie von T-Shirts für 595 Franken?
Es kommt darauf an, was für ein Shirt es ist. Ist es ein Einzelstück oder eines von wenigen Exemplaren, dann kann dieser Preis Sinn machen. Vielleicht ist es bemalt oder hat schicke Applikationen drauf? Das wird schnell teuer. Die Arbeit dahinter muss geschätzt werden und eine Rolle spielen. Aber natürlich gibt es Marken, hinter denen einfach grosse Geldmaschinen stecken. Es wird eine enorme Marge draufgeknallt, nur weil es ein gewisser Brand ist.

Yannick Aellen (44) ist Gründer und Direktor der Mode Suisse. Er ist im Kanton Bern aufgewachsen, hat in Paris und England gelebt, und ist heute in Zürich wohnhaft.
Ob zu billig oder zu teuer: Manchmal hat man das Gefühl, die Modebranche sei gaga geworden. Wie steht es Ihrer Meinung nach weltweit um die Branche?
Die Modebranche hat viele Gesichter. Im ersten Moment denkt man wohl an die grossen Brands, Fashionweeks, Glamour und High-Fashion. Da hatte Corona ehrlich gesagt nicht nur eine negative Auswirkung. Dem High-Fashion-Segment hat die Entschleunigung gutgetan. Eine solche hatte sich die Branche lange gewünscht. Sie hüpfte von Fashionweek zu Fashionweek – ich denke, dass man nun gemerkt hat, dass nicht alle für alles kurz nach London oder New York fliegen müssen. Und auch, dass viel kleinere oder weniger Kollektionen durchaus vertretbar sind.
Welche Probleme bestehen noch?
In der Kommunikation, also im Erklären, liegt eine grosse Herausforderung. Sogar in einem reichen Land wie der Schweiz herrscht zum Teil die Idee, dass billig gut ist. Auch wenn sich viele dieser Leute mehr leisten könnten und besser informiert sein müssten. Es ist wichtig, dass die Leute verstehen, weshalb gute Produkte ihren Preis haben.
Was ist Ihre Idealvorstellung, wie man Mode konsumiert?
In erster Linie sollte man Mode bewusst und ausgesucht konsumieren. Also dass man sich vor dem Kauf kurz fragt: Brauche ich das? Und wer hat das gemacht? Mir ist aber wichtig zu betonen, dass der Spass in der Mode schon da sein sollte. Ich werde in ein paar Wochen 45 Jahre alt – in diesem Alter ist es einfach zu sagen, dass man bewusster einkaufen sollte. Als Teenager und in meinen 20ern habe ich auch wesentlich mehr konsumiert. Ein grosser Teil der heutigen Jugendlichen lebt viel bewusster und zelebriert auch Second Hand.
«Mode Migros»
Am Montag, 30. August, fand die 20. Ausgabe der Mode Suisse in Zürich statt. Seit zehn Jahren bietet sie Schweizer Modeschaffenden zweimal jährlich eine Plattform. Fast von Beginn an wurde die Mode Suisse – und damit das nationale Modedesign – vom Migros-Pionierfonds unterstützt. Dieser sucht und fördert in verschiedenen Themenschwerpunkten Projekte, die neue Wege beschreiten und zukunftsgerichtete Lösungen erproben. Das Ziel ist, dass die Projekte nach einer gewissen Zeit auf eigenen Beinen stehen. Dieses Jahr endet die Förderung der Mode Suisse durch den Migros-Pionierfonds und die weiteren Trägerschaftspartner. Die Mode Suisse wird weiterhin bestehen, betont Yannick Aellen. Man konnte bereits neue Partnerschaften eingehen und ist derzeit auf der Suche nach weiteren Sponsoren.
Was halten Sie von Shoppen als Hobby?
Ab und zu darf das sein, dass es allerdings das einzige samstägliche Hobby ist, finde ich nicht fördernswert.
Wie schafft man als Konsumentin den Spagat zwischen Nachhaltigkeit und immer neuen Styles fürs Instagrambild?
Das sind tatsächlich zwei Welten, die sich für Insta-Fashionistas wohl beissen. Aber es gibt zum Beispiel Plattformen, wo man sich Outfits ausleihen kann – auch im High-Fashion-Bereich. Wenn jemand also tatsächlich das Bedürfnis hat, jede Woche ein neues Outfit vorzuführen oder in die Kamera zu halten, kann man es mieten oder ausleihen. Zudem gibt es spannende, neue online Tools, mit denen man sich ein Fake-Outfit anziehen kann. Man hat es gar nicht richtig an, aber es sieht auf dem Bild so aus, als trüge man einen Balenciaga-Pullover oder ein Chanel-Outfit. Für Leute, die den Drang zum ständig Neuen haben, könnte das spannend sein.
Wie beeinflusst Social Media unser Konsumverhalten?
Wer sich dazu entscheidet, diese Kanäle zu nutzen, wird unterbewusst beeinflusst. Aber natürlich kommt es darauf an, wie alt jemand ist, in welcher Bubble er oder sie unterwegs ist und auf welchen Sozialen Medien. Bei den Kids ist es krass: Sie tragen quasi Uniformen. Aber die Jugend braucht ihre Rolemodels, ihre Bewegungen. Das ist normal und war popkulturell schon immer so.
Kann Mode nachhaltig sein?
Nachhaltigkeit und Mode auf einen Nenner zu bringen, ist nicht einfach: Es werden ja Ressourcen gebraucht, auch wenn die Rohstoffe von Bioqualität oder ähnlich sind. Es ist aber auch nicht unmöglich, zum Beispiel mit Upcycling-Kollektionen. Aber die Nachhaltigkeit sollte auch auf anderen Ebenen nicht ausser Acht gelassen werden: Die Modebranche generiert Arbeitsstellen, ernährt ganze Familien.
Viele Modeunternehmen machen jetzt nachhaltige Kollektionen. Was halten Sie davon?
Das ist gut und wichtig. Hermès hat kürzlich eine erste Tasche aus einem pilzähnlichen Material lanciert. Bei vielen anderen Luxushäusern ist veganes Leder auch immer mehr ein Thema. Interessant sind Unternehmungen wie das schweizerische «Sohotree», welches aus Äpfeln Leder macht. Es ist wichtig, dass allen bewusst wird, dass Nachhaltigkeit ein grosses Thema in der Modebranche ist.
Aber es ist doch nicht alles nachhaltig, wo Nachhaltigkeit draufsteht, oder?
Natürlich ist es falsch, wenn Firmen nachhaltige Kollektionen nur für unser gutes Gewissen führen, und daneben alles Gegenteilige machen würden. Dann ist es nur ein übler Marketing-Stempel. Aber wenn eine Firma Leute im Unternehmen hat, die ehrlich versuchen, die Produktion Schritt für Schritt nachhaltiger zu gestalten, ist dies nur zu begrüssen. Themen wie die Nachhaltigkeit müssen erst mal in der breiten Masse diskutiert werden, um eines Tages selbstverständlich zu sein.

Herr Aellen, welche Kleidungsstücke braucht jeder im Schrank?
- Eine gute Hose, die sitzt und cool aussieht, mit der man idealerweise ins Büro radeln kann, die aber auch elegant genug für die Sitzung ist.
- Ein Veston mit perfektem Sitz
- Ein Lieblingsshirt, in schwarz und weiss, das gut funktioniert und atmet
- Eine gute Regenjacke- und hose, die atmungsaktiv sind.
- Ein Hoodie, der zuhause bequem ist, aber auch auf der Strasse gut aussieht.
- Eine Bananatex-Qwstion-Bag – als zweites Haus.
Kann ich davon ausgehen, dass das T-Shirt für 595 Franken fair produziert wurde?
Nicht unbedingt. Es gibt dekadenterweise auf dem internationalen Markt auch Baumwoll-T-Shirts mit Aufdruck, die so viel kosten können.
Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass die Schweizer Modeszene schon nachhaltig war, bevor das überhaupt ein so grosses Thema wurde. Warum?
Mir scheint, wir Schweizerinnen und Schweizer sind mit einem Bewusstsein dafür aufgewachsen. Ich war in den 80er-Jahren Kind, da war klar, dass wir Batterien, Metall und Glas trennen. In Frankreich hat man noch bis vor wenigen Jahren alles in den Müll geworfen. Seit ich in der Branche arbeite, war es den meisten Designerinnen und Designern in der Schweiz wichtig, woher die Ware kommt. Sie wollten lieber im nahen Europa als weiter weg produzieren. Das hat sich in den letzten zehn Jahren noch verstärkt.
Was zeichnet die Schweizer Modeszene aus?
Eine grosse Diversität. Es ist im Ausland immer schön zu sehen, dass die Leute oft positiv und überrascht reagieren. Sie finden unsere Designerinnen und Designer erfrischend. Wir haben gute Modeschulen in Genf, Zürich und Basel, es gibt viele begabte Designer, gute Professorinnen. Sicherlich konnten wir auch mit der Mode Suisse einiges bewegen und professionalisieren. Die Schweizer Mode ist heute extrem divers, sie kitzelt, kann den Dialog provozieren. Es gibt aber auch Klassisches. Ich finde, wir haben in der Schweiz einen spannenden Mix an Brands.
Viele Schweizerinnen und Schweizer haben noch nie ein Kleidungsstück aus Schweizer Design getragen – es fehlt entweder der Zugang, oder der Preis ist zu hoch.
Ich kann nur empfehlen, sich zu informieren. Zum Beispiel im Onlineshop «Laufmeter», der auch vom Migros-Pionierfonds unterstützt wird. Dort kann man tolle Sachen von Schweizer Designerinnen und Designern einkaufen. Auch zu günstigeren Preisen. Unsere Mode-Suisse-Stücke sind im September im Jelmoli an der Bahnhofstrasse zu finden.
Welche konkreten Brands würden Sie als Einstieg empfehlen?
Mir kommt als erstes Nina Yuun in den Sinn. Schlicht und doch sehr raffiniert, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Eine Seidenbluse von «Mourjjan x Ginny Litscher» oder Ohrringe von Vanessa Schindler sind ebenfalls zu empfehlen. Man könnte auch mit einer Sonnenbrille von «Sol Sol Ito» oder Viu anfangen? Bei ein bisschen mehr Budget kann ich Julia Heuer oder Nomadissem sehr ans Herz legen.
Seit 10 Jahren schaffen Sie mit der Mode Suisse eine Plattform für Schweizer Modeschaffende. Wie geht es den Schweizer Designerinnen und Designern?
Corona war schlimm. Es war schon vorher schwierig, an die breitere Masse zu gelangen und Interesse zu wecken. Aber durch die Pandemie wurde unabhängige Mode noch nischiger. Interessanterweise wurde aber das Interesse für das Lokale grösser, das ist durchaus eine Chance. Aber die Designer können nie einfach ihre Kollektionen machen und sich zurücklehnen. Man arbeitet hart, bis ein Fränkli hereinkommt.
Welche Trends beobachten Sie momentan?
Wir befinden uns noch mitten in der Saison, ich bin also selber noch gespannt, was die Designerinnen und Designer für den kommenden Sommer zeigen werden. An der Mode Suisse erwarte ich aber viel Mut zu Farbe und Bequemem. Ich denke, dass es positive, hoffnungsvolle Kollektionen sein werden.
Gibt es einen Trend, den Sie nie mitmachen würden?
Als ich als 20-Jähriger in Paris war, habe ich selbstverständlich noch mehr mitgemacht. Jetzt habe ich gewisse persönliche Uniformen gefunden. Ich weiss, was für mich funktioniert.
Was ist denn Ihre Uniform?
(Schaut an sich runter) Etwa das, was ich heute anhabe. Ich trage ein Hemd aus der «Le Shirt»-Kollektion, das der Designer Rafael Kouto mit der Zürcherischen Seidenindustrie Gesellschaft für die aktuelle Ausgabe der Mode Suisse entworfen hat. Es ist ein etwas boxiges Shirt mit weiten Ärmeln und einem 80er/90er-Touch, aber es hat auch etwas afro-japanisches. Darin fühle ich mich perfekt für den ganzen Tag gewappnet.
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Foto/Bühne: Mourjjan, © Alexander Palacios
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