Ergebnisse unserer Umfrage
Verantwortungsvolles Unternehmertum – total normal!?
«Eigentlich krass, dass man dies 2020 überhaupt noch fragen muss», kommentierte ein Twitterer, als der Migros-Pionierfonds seine Community fragte: Wie wichtig ist es, dass Unternehmen neben der Wirtschaftlichkeit auch gesellschaftliche Verantwortung berücksichtigen? 95% der Teilnehmenden antworteten, wenig überraschend , mit «Sehr.» Doch die unternehmerische Realität sieht oft anders aus. Warum eigentlich? Wir haben mit drei Unternehmerinnen gesprochen.
Für Simone Alabor funktioniert Wirtschaft nur in einer funktionierenden Gesellschaft . Und diese wiederum funktioniert nur in einer funktionierenden Umwelt. «Wir können das nicht getrennt anschauen.»
Alabor ist Projektleiterin von #MoveTheDate. Die Bewegung will den Overshoot Day , den Tag, an dem die Schweizer Bevölkerung ihre natürlichen Ressourcen für das ganze Jahr aufgebraucht hat , von Anfang Mai auf den 31. Dezember schieben. Die praktisch orientierte Plattform bietet neben Storys und einer lebendigen Community auch konkrete Handlungsmöglichkeiten für einen schonenden Umgang mit Ressourcen.

Für Unternehmerin Simone Alabor von #MoveTheDate setzt die ökonomische eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit voraus. (Foto: zvg)
Alle Beteiligten einbeziehen
Einen anderen Ansatz der gesellschaftlichen Verantwortung verfolgt die Urban Equipe: Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, zukunftsfähige Städte zu kreieren, die partizipativ entstehen. Urbanistin Sabeth Tödtli ist überzeugt, dass diese Form der Stadtentwicklung die einzige Möglichkeit ist, nachhaltige Orte zu schaffen, bei denen sich alle als Teil der Entwicklung verstehen.
Ihr Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung bezieht auch ihre Mitarbeitenden mit ein: «Wir machen uns intern extrem viele Gedanken, diskutieren die Lohnverteilung, die Hierarchien, fragen uns, ob sich alle wohl fühlen in ihren Positionen.»

Ihr unternehmerisches Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung bezieht auch ihre Mitarbeitenden mit ein: Sabeth Tödtli (2. v. r.), Urban Equipe. (Foto: Michael Meili)
«Geld ist doch niemandem per se wichtig. Sondern das, was man mit dem Geld machen kann.» Tödtli ist überzeugt, dass Menschen bei einer erfüllenden Tätigkeit bereit sind, für weniger Lohn zu arbeiten. «Man muss als Firma nicht gleichzeitig hohe Löhne zahlen und nachhaltig und sozial handeln, denn als soziale/r Arbeitgeber*in bietet man andersartige Vorteile.»
Die Schwierigkeit als Unternehmer*in läge darin, dies mit den Mitarbeitenden auszuhandeln: «Was ist es, was sie aus der Arbeit herausziehen? Diese Diskussion darf man dann keinesfalls auslassen.»
Die drei Seiten der Nachhaltigkeit
Für Mirjam Stawicki von carvelo2go ist es zwingend, dass die drei Aspekte von Nachhaltigkeit in ein Geschäftsmodell integriert werden. «Wenn wir ein Defizit machen, dann gibt es das Angebot nicht lange. Ein Unternehmen muss ökonomisch auf soliden Beinen stehen, aber gleichzeitig einen ökologischen und einen gesellschaftlichen Wert haben. Dann erfüllt es für mich die Werte von Social Entrepreneurship.»
Dieser Ansicht ist auch jemand aus der Community auf LinkedIn: «Nachhaltigkeit besteht aus drei Verantwortungen: der wirtschaftlichen, der sozialen und derjenigen gegenüber der Natur/Umwelt.»

Auf zwei Rädern für mehr Nachhaltigkeit: Mirjam Stawicki (in der Box sitzend) präsentiert mit ihrem Team ein eCargo-Bike von carvelo2go. (Foto: Mobilitätsakademie AG, Fotograf: Emanuel Freudiger)
Professionalisieren, skalieren, automatisieren
Die vom Migros-Pionierfonds geförderten Projekte setzen sich auf innovativen Wegen für einen positiven Wandel in der Gesellschaft ein. Aber was passiert, wenn die Unterstützung zu Ende geht und die Projekte auf eigenen Beinen stehen müssen? Geht die Kombination aus Unternehmertum und sozialer Verantwortung auf?
«Dass wir uns auf dem freien Markt langfristig etablieren und unsere Ziele auch ohne Förderung weiterverfolgen können, müssen wir erst noch beweisen», meint Tödtli. Die Urban Equipe erhält noch gut zwei Jahre Fördergelder, danach ist sie auf sich selbst gestellt. Deshalb bemühen sich die Urbanist*innen um Aufträge, weitere Förderungen und Gelder, «aber man merkt, dass es schwierig ist. Umso schwieriger, wenn man versucht, konsequent zu sein.»
Mit «konsequent» meint Tödtli, kritisch zu hinterfragen, mit wem man eine Zusammenarbeit eingeht. Partizipative Stadtentwicklung boomt. Viele grosse Unternehmen wollen heutzutage die Beteiligten in die Planung miteinbeziehen. Für Tödtli und die Equipe ist aber klar: Wenn es nur ums Greenwashing geht, dann «interessiert uns ein Auftrag nicht. Auch wenn da häufig das grosse Geld läge.»

Sabeth Tödtli ist konsequent: Wenn Auftraggeber*innen nur Greenwashing betreiben wollen, dann lehnt sie eine Zusammenarbeit ab. (Foto: Michael Pfister)
Gewinn ist nicht das Ziel
Carvelo2go wurde bis 2019 vom Migros-Pionierfonds begleitet . Seitdem funktioniert es selbsttragend. «Wir haben mit einem sehr einfachen Ansatz angefangen, den wir skalieren, professionalisieren und dessen Prozesse wir automatisieren mussten», sagt Mirjam Stawicki. Dazu gehörten die Einführung eines Online- Payment-Systems sowie die Entwicklung einer App. «Das ist aufwändig und teuer . Schwierig ohne Fördermassnahmen.»
Die Unternehmer*innen haben diese Herausforderungen nach dem Ende der Förderung durch den Migros-Pionierfonds bewältigt, indem sie die Bedürfnisse der Gesellschaft auf die Wünsche der Städte abstimmten und ihr Projekt auf diese Weise ausbauen konnten. Gewinn zu machen war aber nie das Ziel – carvelo2go ist noch immer primär als Förderprogramm für Cargo-Bikes unterwegs. Das Angebot soll für alle Menschen bezahlbar bleiben und der Transport , insbesondere in den Städten , somit nachhaltiger werden.

«Man muss Anreize schaffen, damit sich nachhaltige Geschäftsmodelle für Firmen lohnen.» Mirjam Stawicki, carvelo2go (Foto: Mobilitätsakademie AG, Fotograf: Emanuel Freudiger)
Sozial ist selbstverständlich
Ein LinkedIn-Kommentar zur Umfrage wirft die Frage auf, wie sich «ideale Wirtschaftlichkeit» definieren beziehungsweise messen lasse. Alabor antwortet darauf: «Wir wissen nicht, wie zukunftsfähige Wirtschaft in der Praxis aussieht». Man spreche stets von den bösen Konzernen. «Aber Konzerne bestehen auch nur aus Menschen, die jeden Morgen aufstehen und dort zur Arbeit gehen und sich an die Regeln halten.»
Wenn es mehr erfolgreiche Beispiele gäbe, die zeigten, dass Wirtschaftlichkeit und soziale Verantwortung sich nicht ausschliessen, würde sich etwas verändern. Das Wort Social Entrepreneur mag Alabor allerdings nicht: «Ich sehe mich als Unternehmerin, für mich ist der Einbezug von anderen Dimensionen selbstverständlich. Da brauche ich kein ‹Social› vorne dran. Das ist für mich normales Unternehmertum.»

Simone Alabor am Oerliker Fest 2019, an dem ein Zero-Waste-Eventkonzept getestet wurde. (Foto: Mr. Green)
Alle sind gefragt
Und wo setzt man nun an? Wie führt man die Veränderung herbei? Ein LinkedIn-Kommentar ruft dazu auf, dass alle einen Teil der Verantwortung tragen müssen: Nur wenn Unternehmen, Politik und Konsument*innen sich gemeinsam dafür einsetzen, könne dies zum Erfolg führen. Packen wir es an!
Text: Rahel Grunder
#MoveTheDate Switzerland ist eine klimapositive Plattform für Menschen, die loslegen wollen. Gemeinsam und mit viel Elan soll der Overshoot Day auf das Ende des Jahres verschoben werden. Alle, die mitmachen, unterstützen mit ihrer Kaufkraft als Konsument*innen gemeinsam zukunftsfähige Geschäftsmodelle und teilen Tipps und Tricks zum Selbermachen.
Die Urban Equipe träumt von zukunftsfähigen Städten: zugänglich, vielstimmig und lernfähig. Deshalb setzt sie sich für mutiges Testen, für ehrlichen Wissensaustausch und für konkrete Mitwirkung in der Stadtentwicklung ein. Das «Urban Equipment» hilft dabei, den Austausch zu intensivieren. Es beinhaltet eine Sammlung von Methoden, Formaten und Werkzeugen wie z. B. Baupläne, Spiele und Erklärvideos.
Carvelo2go ist mit über 22'000 registrierten Nutzer*innen und mehr als 60'000 Fahrten nicht nur die weltweit erste, sondern auch die grösste Sharing-Plattform für elektrische Cargo-Bikes. Mittlerweile stehen über 320 eCargo-Bikes in 75 Schweizer Städten und Gemeinden für den Transport von Kindern oder Gütern bereit. Sie haben sich zu einer ernsthaften, ökologischen Alternative zum Auto entwickelt.
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