Wie aus faulen Früchten Farben für Kleider werden
Erschienen
24.08.2022

Designerin Livia Naef stellt einen Teil ihrer Modelinie aus alten Schweizer Leinenstoffen her. Die Farben dafür gewinnt sie aus Pflanzen, darunter auch aus faulen Früchten von der Migros Luzern.
Die Avocados im Eimer vor Livia Naef sind eingedrückt. Die Schalen sind meist schon tiefschwarz, teilweise hat sich ein leichter Flaum Schimmel über die Früchte gelegt. Food Waste. Zum grossen Teil ungeniessbar und sicher nicht mehr für den Verkauf geeignet. Eigentlich ein Abfallprodukt, nicht aber für Livia Naef.
Die Modedesignerin färbt damit ihre Stoffe. «Das ist nahezu genial, pure Natur.» Sie sitzt an einem Tisch und schneidet die Avocados in zwei Hälften. Vor ihr erstreckt sich der Vierwaldstättersee. Heute will sie wieder färben. Und weil sie dazu Platz braucht, macht sie dies auf einem Hof oberhalb von Vitznau LU.

Toni Zimmermann stellt Livia Naef seinen Hof zum Färben zur Verfügung und hilft ihr. Livias Sohn Jon schaut zu.
Seien wir ehrlich, wir brauchen keine Kleider, um zu überleben.
Livia Naef
Angefangen hat alles mit einer Kollegin, die Livia Naef davon erzählte, dass man mit natürlichen Produkten wie Avocados, Spinat und beispielsweise Birkenblättern Stoffe färben kann. Damals stand die Luzernerin am Anfang ihrer Karriere. Es war im Frühling des Jahres 2020 als Corona die Welt durcheinanderbrachte und sie sich mit ihrem Label «Livia Naef» selbständig machte.
«Ich spürte, dass ich diesen Weg unbedingt gehen will. Ich hatte so viele Ideen und Kleider im Kopf, die ich umsetzen wollte», sagt sie, die nach ihrer Ausbildung zur Kauffrau und PR-Fachfrau eine Weiterbildung zur Fashion Assistant und Fashion Designerin an der Schweizerischen Textilfachschule in Zürich absolvierte.
Ein Schatz auf dem Estrich
Doch nicht nur vor der Selbständigkeit hatte sie Respekt, auch vor der Umwelt. «Seien wir ehrlich. Wir brauchen keine Kleider, um zu überleben.» Deswegen habe sie es sich zum Ziel gesetzt, ihre Kreationen so nachhaltig wie möglich zu realisieren. Das sei leichter gesagt als getan. Allein schon wenn es um die Produktion von Stoffen geht, stecke die Branche in Sachen Nachhaltigkeit noch in den Kinderschuhen.
«Lieferketten und Produktionsbedingungen sind oft intransparent. Ob mit Chemikalien oder unter menschenunwürdigen Bedingungen gearbeitet wurde, lässt sich oft nicht mehr nachverfolgen.» Sie habe selbst auf grossen Stoffmessen lange suchen müssen, um Material zu finden, das möglichst nachhaltig hergestellt worden ist. Sie verwendet noch heute ausschliesslich natürliche Produkte wie Leinen, Lyocell, Biobaumwolle und Hanf.
Vor etwas über einem Jahr erzählte ihr eine Bekannte, dass sie auf dem Estrich eine ganze Menge Leinen gefunden habe, und bot ihn der Designerin an. «Als ich den Stoff zum ersten Mal sah, traute ich meinen Augen kaum.» Es seien meterweise Leinenstoffe gewesen, schön säuberlich aufgerollt, mit einem pinken Band versehen und der Signatur der Leinenweberei Langenthal. Die Stoffe sind über 100 Jahre alt.
«Hundertprozentigen Leinenstoff aus der Schweiz findet man heute nicht mehr. Das war der totale Glücksgriff.» Damit kam auch die Idee mit dem Färben wieder auf. Livia Naef kontaktierte ihre Kollegin, die ihr davon erzählt hatte und ihr beim ersten Färbversuch zur Hand gehen wollte.
«Um mit Food Waste Leinen zu färben, braucht es eine ganze Menge faule Avocados», sagt Livia Naef, während sie das Fruchtfleisch von der Schale entfernt. Für ein Kilo Leinen benötige sie idealerweise das doppelte Gewicht an Abfällen. Livia Naef fragt jeweils bei Grossverteilern nach, unter anderem bei der Migros in Luzern, um Abfallprodukte wiederzuverwenden.
Für das Färben mit Avocados werden nur Schale und Kern verwendet, die eine Stunde lang im heissen Wasser kochen, bevor sie wieder herausgefischt werden. Danach kommt der Stoff für eine Stunde in den Topf mit dem Farbsud. Ganz wichtig sei, dass das Wasser stets in Bewegung bleibe und der Stoff nicht an die Oberfläche gelange. Die Teile, die mit Luft in Berührung kommen, oxidieren und werden somit dunkler. «Der Farbsud muss ständig wie ein Risotto mit dem Holzlöffel gerührt werden. Sonst könnten sich Flecken bilden.» Am Ende wird die Färbung mit Essig fixiert und getrocknet.

Bei meinen Kleidern wissen die Kundinnen, woher sie kommen. Jedes Stück ist ein Unikat.
Livia Naef
Lebendige Stoffe
Als der erste Färbversuch mit den Avocados getrocknet war und in einem «wunderschönen Blassrosa» schimmerte, wusch Livia Naef ihn sofort bei 30 Grad. «Ich hatte Angst, am Ende wieder einen weissen Leinenstoff in der Hand zu halten. Aber das Blassrosa blieb.» Dennoch könne es sein, dass die Kleider mit der Zeit ihre Farbe ändern. Das gehöre dazu, sagt Livia Naef. «Die Stoffe sind organisch und lebendig. Das ist Teil der Geschichte.»
Sie betreibe natürlich sehr viel Aufwand. Dementsprechend kosten diese Kleider auch zwischen 490 und 1700 Franken. Ihr sei bewusst, dass sich dies nicht jede leisten könne. «Aber bei meinen Kleidern wissen die Kundinnen, woher sie kommen. Jedes Stück ist ein Unikat. Zudem sind sie so entworfen, dass man sie am Abend und am Tag tragen kann, zu jedem Anlass.» Am besten ein Leben lang.
Wo du Livia Naefs Kleider bekommst
Neben ihrem eigenen Online-Shop sind die Kleider auch bei laufmeter.ch erhältlich. Die Firma steht für hochwertige Schweizer Mode und bewussten Umgang mit Ressourcen – und ist damit Teil der Gegenbewegung zu Fast Fashion. Sie wird vom Migros-Pionierfonds unterstützt.
Fotos: Herbert Zimmermann
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