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«Das Thema Klimawandel trifft einen wunden Punkt»

Text

Ralf Kaminski

Erschienen

08.02.2023

Klimaaktivisten blockieren eine Strasse, hinter ihnen stauen sich Autos.

Weshalb gehen die Emotionen hoch, wenn sich Aktivist*innen auf Strassen kleben – und was taugen unsere Klimaschutz-Ausreden? Psychologin Flavia Gosteli erklärt's.

Wir wissen alle, was wir tun müssten, um die Umwelt zu schonen. Wieso tun wir es nicht? 

Flavia Gosteli: Menschen sind Gewohnheitstiere. Der allergrösste Teil unseres Verhaltens ist automatisiert – nur so finden wir uns in dieser komplexen Welt zurecht. Es fällt fast allen schwer, lang eingespielte Verhalten oder Abläufe zu verändern. Hinzu kommt: Wissen allein reicht nicht, um eine solche Veränderung anzustossen. Und wir stecken in einem System, das umweltfreundliche Anpassungen häufig erschwert.

Zum Beispiel?

Hört man plötzlich auf, Fleisch zu essen oder zu fliegen, ist man erst mal die Exotin und muss das im eigenen sozialen Umfeld erklären – und Alternativen sind nicht immer einfach verfügbar. Das sind zusätzliche Hürden. Je mehr wir also die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern und umweltfreundliches Verhalten zum Standard wird, desto leichter fällt auch die individuelle Anpassung. Was unser Umfeld macht, hat enormen Einfluss auf uns. 
 

Flavia Gosteli

Flavia Gosteli

Gosteli (27) ist Präsidentin von IPU Schweiz, dem Verein für Umweltpsychologie. Sie hat 2022 ihr Psychologiestudium abgeschlossen und ist derzeit in Ausbildung zur Psychotherapeutin. Gosteli engagiert sich zudem bei der Schweizer Regionalgruppe von Psychologists for Future, die psychologisches Wissen für die Bewältigung der Klimakrise einsetzen. Sie lebt in Winterthur.

Viele empfinden die notwendigen Schritte als Einschränkung. Kann man das auch anders sehen?

Ja, in dem wir stattdessen Genügsamkeit in den Vordergrund stellen. Die Forschung zeigt nämlich, dass die Menschen mit einem genügsameren Lebensstil tendenziell glücklicher sind.

Wer sich auf diesen genügsamen Lebensstil einlässt, empfindet ihn in der Regel nicht als Verlust. Und eigene Erfahrung hilft: Wer sich das nur vorstellt, fokussiert stärker auf das, was er vermeintlich verliert. Wer es aber tatsächlich tut, erlebt dann auch die Vorzüge – und weiss sie zu schätzen.

Die Coronapandemie hat gezeigt, dass die Mehrheit zu Veränderungen bereit ist, wenn sie die dringende Notwendigkeit einsieht. Wie schlimm muss es bei Klima und Umwelt werden, damit das auch dort klappt?

Schon jetzt werden überall auf der Welt jedes Jahr Temperaturrekorde gebrochen, es gibt Überschwemmungen, Stürme, Hitzewellen und Feuersbrünste, in der Schweiz schmelzen die Gletscher, und wir haben häufig kaum noch Schnee im Winter.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits da, viele Menschen bekommen sie am eigenen Leib zu spüren. Aber halt an unterschiedlichen Orten, zu verschiedenen Zeiten, mit verschiedenen Gesichtern und immer nur temporär. Weshalb die Krise für die meisten trotz allem noch immer viel abstrakter ist als es die Pandemie war. Wie sehr das alles mit der Klimakrise zusammenhängt und unsere Lebensgrundlagen bedroht, ist noch nicht genug Menschen klar.

Je mehr sich individuell bemühen, desto eher ändern sich auch Strukturen und Gesetze.

Flavia Gosteli

Es gibt diverse psychologische Abwehrmechanismen, um sein Verhalten nicht verändern zu müssen. Bitte kommentieren Sie: Egal, was wir hier in der Schweiz machen, solange China, die USA und Indien nicht umstellen, verpufft das eh alles. Wozu also soll ich mich sinnlos einschränken?

Wir alle sind Teil des Ganzen, jedes bisschen hilft. Und die Schweiz als kleines, reiches Land kann auch als Vorbild für andere dienen, wenn sie mit einer erfolgreichen Lösung mutig vorangeht und zeigt, dass dies gewinnbringender ist als der alte Weg.

Bevor es keine scharfen Gesetze gibt, die alle zu einer Verhaltensänderung zwingen, bringt das alles eh nichts – individuelle Bemühungen sind verlorene Liebesmüh. 

Sind sie nicht, denn je mehr sich individuell bemühen, desto eher ändern sich auch Strukturen und Normen, desto leichter wird es. Wirksam sind wir tatsächlich erst im Kollektiv, aber damit es soweit kommt, braucht es das individuelle Engagement von uns allen. Besser wäre ohnehin, dieses Verhalten aus innerer Überzeugung zu entwickeln und nicht unter gesetzlichem Zwang.

Veganer Fleischersatz

Das eine tun, das andere nicht lassen: Flavia Gosteli empfiehlt Ressourcenschonung auf vielen Ebenen. (Bild: Getty Images)

Ich fahre kein Auto, also kann ich dafür Fliegen oder Fleischessen.

Das beruht auf der Vorstellung einer Balance: Wenn man am einen Ort etwas besonders gut macht, kann man dafür an einem anderen etwas weniger gut machen, denn das gleicht sich wieder aus. Hier geht die Rechnung jedoch nicht auf, denn wir müssen ja Konsum und Ressourcenverbrauch insgesamt reduzieren. Und das erreichen wir nur, wenn wir uns an allen Orten bemühen – als Individuum und als Gesellschaft.

Nur keine Hektik, das wird sich alles in naher Zukunft technisch lösen lassen, Verhaltensänderungen braucht es nicht.

Das Problem ist, dass die Krise schon da ist – und marktfähige, genügend effektive technische Lösungen sind noch nicht absehbar. Wenn wir auf die warten, wird es zu spät sein.

Und als Letztes: Es ist ohnehin hoffnungslos, nach mir die Sintflut.

Dieses Ohnmachtsgefühl angesichts der Grösse des Problems ist verständlich. Aber es gibt Grund für Zuversicht. Wir wissen, was getan werden muss, wir müssen es nur tun. Und wenn es uns gelingt, die Erwärmung auf 1.7 Grad zu beschränken statt auf 2 oder 2.5, macht das einen gewaltigen Unterschied für die künftige Lebensqualität auf der Welt. Wir sind jetzt im entscheidenden Jahrzehnt. Es lohnt sich, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen. Aufgeben ist keine Option.

Es ist einfacher, sich an der Störung der öffentlichen Ordnung abzuarbeiten, statt auf die komplexe, beängstigende Klimakrise zu fokussieren.

Flavia Gosteli

Inzwischen gibt es Menschen, die so grosse Angst vor dem Klimawandel haben, dass es ihren Alltag belastet. Gibt es für «climate anxiety» bereits eine offizielle medizinische Diagnose?

Nein. Grundsätzlich aber ist Angst eine legitime Reaktion: Die Bedrohung ist real und gross, die Angst zeigt uns, dass etwas getan werden muss. Tatsächlich gibt es Menschen, die grosse Ängste bis hin zu Depressionen entwickeln. Die meisten können die Angst jedoch auf gesunde Weise bewältigen. Im Idealfall lähmt sie uns nicht, sondern motiviert uns zum Handeln. Eine Auseinandersetzung mit diesem Gefühl ist gesund und wichtig.

Einige Klimaaktivisten sind inzwischen zu einer Art zivilem Ungehorsam übergegangen, in dem sie sich auf Strassen festkleben oder Kunstwerke in Museen attackieren. Weshalb diese Eskalation?

Sie fühlen sich noch immer nicht gehört oder fürchten, dass es schlicht nicht reicht, was bisher passiert. Viele haben auch den Eindruck, dass die üblichen Klimademos nicht mehr genügend Aufmerksamkeit erhalten. Es ist die nächste Stufe, um die Leute aufzurütteln.

Weshalb lösen diese Aktionen teils derart heftige Empörung aus?

Das zeigt, wie sehr das Thema die Menschen bewegt, dass es einen wunden Punkt trifft. Es ist halt einfacher, sich an der Störung der öffentlichen Ordnung abzuarbeiten, statt auf die komplexe, beängstigende Klimakrise zu fokussieren. Aber bekommen wir die nicht in den Griff, wird die Störung von Ruhe und Ordnung ganz andere Dimensionen annehmen, die auch keine Polizei mehr beseitigen kann.

Was hältst du von Klimaaktivist*innen, die sich an Strassen festkleben?

Bei allem Pessimismus: In den letzten fünf Jahren hat sich einiges bewegt. Sehen Sie auch Anlass für Optimismus?

Sogar eine Menge. Es ist extrem wichtig, dass wir nicht nur übers Negative reden. Wir brauchen die Zuversicht, dass wir viel bewirken können. Die grosse Mehrheit ist sich des Problems inzwischen bewusst, und auch die internationale Politik ist aufgewacht. Dass wir per Volksabstimmung im Kanton Zürich beschlossen haben, keine neuen Ölheizungen mehr in Wohnhäuser einzubauen, wäre vor ein paar Jahren noch unvorstellbar gewesen.

Auch viele globale Konzerne entwickeln konkrete Pläne für eine nachhaltige Transformation. Der Ausbau der Solarenergie kommt besser voran als erwartet. Es ist viel in Bewegung, der Kurs stimmt, nun müssen wir einfach noch einige Gänge höher schalten.

Foto/Stage: Getty Images

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