«Wir machen es Singles an Weihnachten unnötig schwer»
Erschienen
08.12.2022

Sie müssen sich rechtfertigen, werden bemitleidet und verkuppelt: Singles haben es über die Festtage oft nicht leicht. Ein Psychologe sagt, wie sie kontern können.
An Weihnachten dreht sich alles um Liebe, Romantik und Zweisamkeit. Wie kann man das Fest der Liebe als Single geniessen?
Amel Rizvanovic: Mir kommt da direkt «Love Actually» in den Sinn (lacht). Aber seien wir mal ehrlich: Bei wem läuft Weihnachten denn wirklich so ab wie in einer romantischen Liebeskomödie? Ich würde deshalb dafür plädieren, die ganze Weihnachtsromantik generell zu hinterfragen. Was aber sein kann, dass man sich als Single weniger angebunden fühlt. Dann ist es wichtig, dass man bewusst in Beziehung geht – und damit meine ich nicht die Paarbeziehung.
Sondern?
Wir sind eingebunden in ein Netz von unterschiedlichen Beziehungen. Dazu gehört die Familie, aber auch Freunde, Bekannte, Leute aus dem Verein oder Kolleginnen und Kollegen von der Arbeit. An und um die Festtage empfiehlt es sich, proaktiv mit Leuten abzumachen, mit denen man gerne Zeit verbringt. Es kann auch hilfreich sein, allein auf Veranstaltungen wie Weihnachtskonzerte oder Gottesdienste zu gehen, so in Beziehung zu treten und sich im Kreise der Gemeinschaft zu wärmen.

Foto: Emanuel Wallimann
Amel Rizvanovic
Rizvanovic (43) ist Coach und Consultant in Luzern und berät Einzelpersonen, Paare und Organisationen. Gemeinsam mit seiner Partnerin Felizitas Ambauen (Podcast «Beziehungskosmos») hat er das Workshopkonzept «Paarcours» entwickelt.
Als Single muss man sich an den Festtagen von Familie, Verwandten und Freunden oft vieles anhören. Woher kommt dieses «Single Shaming»?
Unabhängig davon, wie man selbst oder die Familie tickt, sagt das viel über unsere gesellschaftlichen Normen aus. Leider gilt da noch immer oft das Ideal einer, meist heterosexuelle, Paarbeziehung. Es braucht also Mann, Frau und wenn das gegeben ist: ein Kind. Oder am besten gleich zwei. Erfüllt man eines davon nicht, wird angenommen, dass etwas fehlt oder mit einem nicht stimmt. Ein Denken, das höchst problematisch ist und ganz viele Lebensformen ausschliesst. Frauen sind davon meist stärker betroffen als Männer.
Inwiefern?
Ein Mann wird tendenziell weniger stigmatisiert, er gilt als «frei», «ungebunden» oder «Junggeselle». Bei Frauen hingegen heisst es öfters, ob sie wohl noch einen «abbekommt» oder dass sie zu hohe Ansprüche habe. Ab 30 wächst zudem der Druck in Bezug auf Kinder, in erster Linie für Frauen.
Wie soll man reagieren, wenn am Familientisch unangenehme Fragen gestellt werden?
Es kommt darauf an, wer fragt. Ist es Cousine Erika, mit der man sich ganz gut versteht und die unter vier Augen fragt, ob man sich mit jemandem treffe? Oder ist es der nervige Onkel Sam, der nach dem zweiten Eierlikör jede Hemmung verliert und vor versammelter Familie distanzlos nach der besseren Hälfte, oder am besten gleich dem Sexleben fragt? Je nachdem unterscheidet sich die angemessene Reaktion. So oder so gilt aber; wer über etwas nicht reden will, darf und soll das auch sagen.
Und wie?
Klar und deutlich, aber gerne mit Charme und Fingerspitzengefühl. So könnte man in freundlichem Ton antworten: «Hervorragend, danke. Und wie läuft es in deinem Liebesleben, Onkel Sam?» Oder auch lächelnd entgegnen: «Themenwechsel!» Sich vorab ein paar solcher Sätze für Onkel Sam und Co. zurechtzulegen, kann der eigenen Schlagfertigkeit auf die Sprünge helfen.
Und zum Schluss: Haben es Singles generell schwieriger an Weihnachten als Paare?
Das lässt sich nicht allgemein beantworten. Oft machen wir – als Pärchen, Familienmitglieder oder Gesellschaft – es ihnen aber unnötig schwer, indem wir uns übergriffig verhalten. Wir stellen unangebrachte Fragen, bemitleiden sie oder drängen ihnen den «perfekten» Partner auf, ohne zu berücksichtigen, ob sie das überhaupt wollen. Wenn wir hier reflektierter wären im Hinblick auf unsere eigenen, unbewussten Ideale, wäre Weihnachten wohl für alle entspannter und spannender zugleich.
Foto/Bühne: Getty Images
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