Der Kursraum 431 macht einen nüchternen Eindruck: Die Tische sind hufeisenförmig angeordnet, es gibt eine weisse Wandtafel und grosse Fenster, aus denen man Hausfassaden und ein bisschen Himmel sieht. Doch mit diesem Zimmer im vierten Stock der Klubschule Migros beim Bahnhof Winterthur verbinden sich grosse Hoffnungen: in der Schweiz dazuzugehören, Heimat zu finden und den Alltag besser zu bewältigen.
Die erfahrene Lehrerin Brigida Nold (61) leitet hier den Kurs «Deutsch Plus». Die zwölf erwachsenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer stammen aus verschiedenen Ländern, beispielsweise aus Italien, dem Kosovo, Bangladesch oder der Dominikanischen Republik und sind zwischen 25 und 61 Jahre alt. Gemeinsam ist allen Mitgliedern der Gruppe, dass sie erst wenig Deutsch sprechen und dies dringend ändern wollen.
Humor statt Drill
In 60 Lektionen, die sich auf vier Wochen verteilen, versucht Brigida Nold, den Männern und Frauen dieses Ziel näherzubringen. Sie setzt dabei auf den Ausbau des Wortschatzes; die Grammatik bleibt im Hintergrund. Ein wichtiger Teil des Unterrichts sind Rollenspiele – vom Bewerbungsgespräch über den Arztbesuch bis zum Einkauf im Supermarkt werden verschiedene Situationen nachgestellt. Doch diese eher technische Beschreibung bringt den Kurs nicht auf den Punkt.
«Am wichtigsten sind eine entspannte Atmosphäre und Humor», sagt die Pädagogin, die seit 20 Jahren an der Klubschule unterrichtet. «Es geht um eine Annäherung an die deutsche Sprache und die Spielregeln unseres Alltags. Die Kursteilnehmer*innen sollen die Scheu vor der Fremdsprache ablegen. Sie sollen sich das Reden zutrauen, auch wenn nicht jeder Satz in Grammatik und Aussprache perfekt ist.» Geübt wird in Raum 431, Schriftdeutsch mit gelegentlichen Mundart-Einsprengseln.

Meine Klasse hat gerade grossen Spass an der schweizerdeutschen Formulierung ‹es bitzeli›. Ich werde sie sicher nicht korrigieren und sie ermahnen, dass es korrekt eigentlich ‹ein bisschen› heissen müsste.
Brigida Nold Lehrerin, Klubschule Migros
Oft erzählen die Kursteilnehmer*innen von Erfolgserlebnissen. Eine Mutter berichtete kürzlich, wie sie die Primarschule ihrer Tochter besucht hatte. Es ging darum, sich mit der Lehrerin auszutauschen und einen Joker-Ferientag für das Mädchen einzuziehen. «Das hätte sich die fremdsprachige Frau früher nur in Begleitung zugetraut», sagt Brigida Nold. «Jetzt aber hat sie es ganz allein geschafft, weil ihr Selbstvertrauen gewachsen ist.»
Besondere Lebenserfahrung
Die Lehrerin freut sich enorm über solche Berichte. Überhaupt sind die Kontakte mit den Kursteilnehmer*innen für sie eine grosse Bereicherung: «Auf den ersten Blick haben sie wenig gemeinsam, und doch gibt es etwas, was sie alle verbindet: Sie sind hochmotiviert und sehr beharrlich, sie lassen sich von Rückschlägen nicht entmutigen und wollen unbedingt lernen.»
Womöglich hat das mit den Lebensgeschichten der Migrant*innen zu tun: Sie haben ihre Heimat verlassen und dabei grosse Herausforderungen bewältigt. Und sie mussten viele Umwege gehen und durften nie stehen bleiben. Besonders gern erinnert sich Brigida Nold an eine Überraschung, die sie einmal nach einer Pause im Kurslokal vorfand: In den 15 Minuten hatte ein junger Italiener eine wunderschöne Blumenwiese auf die Wandtafel gezeichnet. Er wollte damit ausdrücken, dass ihn das Lernen in ihrem Kurs seelisch aufblühen lasse.
Sprache als Schlüssel zur Integration
Wer die Landessprache beherrscht, kann viel besser am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in der Schweiz teilhaben und sich einbringen. Eine gelungene Integration beginnt bei der Sprache. Das Staatssekretariat für Migration hat ein Konzept für die sprachliche Integration erstellt. Es heisst fide und steht für «Français, Italiano, Deutsch in der Schweiz». Die Klubschule unterstützt das schweizerische Programm zur Förderung der sprachlichen Integration und bietet Sprachkurse nach den fide-Prinzipien an. Des Weiteren bildet sie auch Sprachkursleiter*innen im Integrationsbereich aus.
Hier finden Sie mehr Informationen.
Die Klubschule Migros gehört zum Bildungsangebot des Migros-Kulturprozents, das sich zusätzlich in den Bereichen Kultur, Gesellschaft, Freizeit und Wirtschaft einsetzt für den Zusammenhalt der Menschen.
Foto/Bühne: Roger Hofstetter
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